Paris – In der Nachspielzeit des 0:3 in Paris gab es eine Szene, nur klitzeklein und irrelevant, aber dennoch mit großer Wirkung, um den ganzen Irrsinn des Abends aus Sicht des FC Bayern widerzuspiegeln. Robert Lewandowski schickte einen Kollegen mit einem Pass auf den rechten Flügel auf die Reise. Es war schon komisch, dass sich der Pole auf der Position des „Sechsers“ betätigte, aber dass an der Seitenlinie Javi Martinez dem Ball hinterherhetzte – freilich erfolglos – war noch eigenartiger. Der Innenverteidiger hatte auf Rechtsaußen ebenso wenig zu suchen wie Mittelstürmer Lewandowski auf der „6“.
Robben beißt sich auf die Zunge
Im Prinzenparkstadion ist am Mittwoch alles denkwürdig in die Schieflage geraten, und so rätselten die Beobachter noch 24 Stunden später, was Carlo Ancelotti zu dieser Aufstellung veranlasst hatte. Wollte er das gute, alte Catenaccio einführen, das liegt Italienern ja immer ein wenig im Blut, so sagt man, ist es schrecklich fehlgeschlagen. Das System geriet zu einer Karikatur, nicht nur wegen des frühen 0:1. Sondern einfach, weil diese Bayern-Mannschaft an und für sich ganz andere Optionen hätte. Ancelottis Geistesblitze in Paris führten ins Dunkel.
Arjen Robben und Neymar hatten sich nach dem Abpfiff gedrückt, dann streiften beide ihre Trikots zwecks Tausch über. Normalerweise ist das eine Ehre für das Gegenüber des Bayern-Stars, doch als im Pariser Prinzenparkstadion 10 und 10 die Besitzer wechselten, fragte man sich, ob sich nicht etwas verschoben hat. Während Neymar das 3:0 gegen die Münchner dominiert hatte, bestritt Robben seine schwersten Zweikämpfe erst lange nach Abpfiff in den Stadionkatakomben. Er hatte bloß in der Schlussphase mitmachen dürfen, nun schlug er Haken um die immer wieder gleiche Frage, die ihm verklausuliert in verschiedenen Formen gestellt wurde: Steht die Mannschaft noch zu den Vorgaben von Ancelotti? „Ich werde das nicht beantworten“, sagte er, „es bringt nichts, wenn sich Unzufriedene nach außen äußern.“ Man musste Robben nicht besonders gut kennen, um zu sehen, wie sehr er sich auf die Zunge biss. Dass er bei einem Trikottausch mit Neymar inzwischen eine untergeordnete Rolle spielt, kratzt an seinem Selbstverständnis. Aber es ging inzwischen um viel mehr als die fraglos großen Egos in diesem Team.
Als Mats Hummels nach dem Abpfiff zum Bus spazierte, hatte er nur ein müdes Lächeln übrig. „Das glauben Sie jetzt nicht wirklich?“, sagte er, als ein Reporter um ein Statement bat. Hummels hatte sich unvermutet auf der Ersatzbank gefunden, was die letzte von zahlreichen nicht nachvollziehbaren Maßnahmen des Bayern-Trainers war. Franck Ribery und Robben draußen zu lassen, konnte er unter Umständen noch mit der Taktik begründen – aber warum machte er völlig unnötig auch noch dieses Fass auf, indem er die Führungskraft Hummels für den Azubi Niklas Süle degradierte?
Es gab bizarre Gespräche nach dem Abpfiff, wie man sie selten beim FC Bayern erlebt. Sven Ulreich sah gewiss nicht gut aus bei dem einen oder anderen Gegentreffer, dennoch schaute er irritiert, als er mit einem Vorwurf konfrontiert wurde, den eine Expertenrunde im Fernsehstudio aufgebracht hatte: Ob er Sehstörungen habe? „Völlig absurd“, meinte der Torwart. Gegen Wolfsburg habe er einen Ball falsch berechnet, „aber heute habe ich die Bälle gesehen“. Die Spieler hatten auszubaden, dass Ancelotti die Dinge nicht mehr richtig überblicken konnte. „Wir haben Paris zum Kontern eingeladen“, sagte Ulreich. „Das war ein gebrauchter Tag für uns alle“, meinte Joshua Kimmich. Als „peinlich und schmerzhaft“ bezeichnete Robben den Auftritt, „so etwas sind wir nicht gewöhnt“.
Ancelotti selbst gab sich noch in der Pressekonferenz stoisch wie eh und je. Die Rotation sei angebracht gewesen, vor allem in der Innenverteidigung habe man vier gute Spieler. Auch das klang eigenartig aus dem Mund eines erfahrenen Trainers. Rotation macht Sinn, aber nicht einfach so, aus dem Bauch heraus. Warum die Besten schonen, wenn es gegen die Besten geht? Süle und Martinez hob Ancelotti bei seiner Analyse als die beiden stärksten Bayern in Paris heraus, das zeugte fast schon von kindischem Trotz. Sicherlich tat man sich an diesem Abend schwer, überhaupt einen Spieler zu loben – aber bei einem fast noch schmeichelhaften 0:3 die beiden Innenverteidiger zu rühmen, ist mehr als grenzwertig. „Es ist nicht zu übersehen, dass sich etwas ändern muss“, sagte Kimmich am Ende. Weniger als 24 Stunden später zogen die Bosse die Reißleine.