Paris/München – Es kommt beim FC Bayern öfter mal vor, dass die Nächte auf Champions League-Reisen kurz sind. Wenn der Wein ein Menü abrundet und nach Mitternacht die Zigarren kreisen, verhockt es sich leicht, und oft genug gab es ja guten Grund, es sich mal schmecken zu lassen. Auch in Paris bekamen die Bosse wenig Schlaf ab. Aber nicht, weil sie auf dem Bankett verhockten. Bevor sie zu Bett gingen, stand noch ein Treffen an, fern der VIPs mit dem feinen Wein, dem Menü und den Zigarren. Gestern Mittag, nach der Landung in München, bestellten sie Carlo Ancelotti zum Gespräch. Man trennte sich.
Nach der Bankettrede von Karl-Heinz Rummenigge hatte die Entlassung keinen mehr verwundert. Der Vorstandschef hatte zu deutlich auf Treueschwüre und Lippenbekenntnisse verzichtet. Im Gegenteil: Der Ton war nach dem Sturm auf die Bastille eisig. Das sei „eine ganz
bittere Niederlage“, sagte Rummenigge, „über die es zu sprechen gilt, die es zu analysieren gilt, und aus der wir auch in Klartextform Konsequenzen ziehen müssen.“ Paris hat schon viele Köpfe rollen sehen in der Geschichte. Der von Ancelotti war akut gefährdet. Einen Tag danach hieß es: Adieu, Ancelotti!
Während der Rede stierte Uli Hoeneß gedankenschwer in sein Weinglas, der Coach knabberte am Brot. „Ich denke, das, was wir heute Abend gesehen haben, war nicht der FC Bayern“, sagte Rummenigge, der bei seinen Reden gerne mal ein paar Witze einstreut, diesmal aber streng blieb. „Es ist wichtig, dass wir schnell die Kurve bekommen und uns wieder als Bayern München präsentieren. Und dann eben auch zeigen, dass wir eine Mannschaft sind, die in den letzten Jahren in Europa und auch national für Furore gesorgt hat.“ Daran wolle man wieder anschließen. Ohne Ancelotti. Sein kompletter Stab bekam die Papiere, als Übergangslösung springt Co-Trainer Willy Sagnol ein.
Die Trennung, die dem Italiener im kleinen Kreis von Rummenigge und Sportchef Hasan Salihamidzic, aber in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat um Hoeneß unmittelbar nach der Rückkehr an die Säbener Straße dargelegt wurde, ist nicht zuletzt dem Vorstandsvorsitzenden sehr schwergefallen. Ihn und den 58-Jährigen verbinden freundschaftliche Bande, das betonte Rummenigge nicht aus Jux in der Presseerklärung. Er erlebte gestern das, was Hoeneß einst bei der ersten Entlassung von Jupp Heynckes mitmachen musste: Gute Freunde kann man eben doch trennen. „Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen, die wir an sie stellen. Das Spiel in Paris hat deutlich gezeigt, dass wir Konsequenzen ziehen mussten“, sagte Rummenigge. Das Trennungsgespräch sei offen, ehrlich, aber auch traurig verlaufen, hieß es. Dennoch war allen Beteiligten klar, dass der Coach die Mannschaft nicht mehr erreicht hatte. Es musste sein.
Auch die Profis waren bei ihren Analysen im Prinzenpark noch einmal sichtlich von ihrem Chef abgerückt. „Der Trainer stellt seine Pläne vor, und wir Spieler versuchen, sie umzusetzen“, sagte Thomas Müller. Paris habe „sich auf seine individuelle Klasse verlassen, das hat heute gereicht“. Es war schon eine Kunst, so viel in Andeutungen sagen zu können. Zuletzt bewiesen Führungsspieler wie Arjen Robben und Müller diplomatisches Geschick, wie vorbildliche Angestellte im Sinne des Vereins. Deutlich wurde dabei dennoch die Gegensätzlichkeit: Hier die Spieler – dort Ancelotti. „Ich vertrete die Mannschaft, der Trainer trifft die Entscheidungen“, sagte Müller. Dazwischen vertiefte sich der Graben zusehends. Man hätte am Mittwoch mühelos den Eiffelturm, darin versenken können. Der misst stattliche 324 Meter.
Tuchel wäre einer mit Guardiolas Stil
Ancelotti hatte gegen Paris noch einmal fatale Signale bei der Betreuung seines Kaders ausgesendet: Das Verhältnis zu Frank Ribery war irreparabel, Robben, Müller und Jerome Boateng hat er vergrault, gegen St. Germain stellte er in Mats Hummels die nächste Autorität kalt. Dass er zur Pause in Corentin Tolisso und James die beiden Top-Neuzugänge vom Feld nahm, komplettierte das Bild eines strategielosen Befehlshabers.
Niemand bei Bayern will den renommierten Coach beschädigen, man schätzt seine menschliche Art; dennoch ist an der Säbener Straße zu hören, dass er es versäumt habe, nach den Abgängen von Philipp Lahm und Xabi Alonso eine neue Hierarchie herauszuarbeiten. Er sei mehr ein Trainer vom alten Schlag, der sich auf seine Recken auf dem Feld verlässt, heißt es. Doch bei Bayern sind die Aufgaben nun andere. Wem die Bosse den Job anvertrauen, den FC Bayern für die Zukunft salonfähig zu machen, werden sie in den nächsten Tagen diskutieren. Sagnol hat am Sonntag bei Hertha das Sagen, danach bietet die Länderspielpause Luft, um die Dinge zu regeln.
Thomas Tuchel ist derzeit ohne Betätigung, von allen Kandidaten vereint er die meisten nötigen Qualitäten auf sich. Zwar gilt der ehemalige Dortmunder Coach als nicht pflegeleicht, aber das war Pep Guardiola ja auch nicht. Beide haben die gleiche Philosophie – und zwar eine, die Hoffnung zulässt, dass Champions League-Nächte auch mal wieder länger dauern, weil Zigarren kreisen.