München – Im Sommer hat Fritz von Thurn und Taxis seine Fernsehkarriere beendet, aber vom Bildschirm verschwunden ist er deshalb noch lange nicht. Der langjährige Kommentator (BR, Premiere, Sky) ist in Talkrunden weiterhin ein beliebter Gast – und es gibt ja auch viel zu diskutieren im modernen Fußball. Vor dem Gastspiel des FC Bayern bei Paris St. Germain sprachen wir mit Thurn und Taxis (67) über die Exzesse auf dem Transfermarkt und sonstige unschöne Entwicklungen. Und darüber, warum es so wichtig ist, Franck Ribery tief in die Augen zu schauen.
-Ist das Leben als Privatier für Sie eine große Umstellung?
Meine Frau fragt mich jeden Tag, wie es mir geht. Von Beginn an. Aber es war ja immer um diese Zeit Pause, insofern werden wir erst noch sehen, wie wir uns orientieren. Aber ich habe schon wieder viele Termine.
-Wo genau?
Ich werde einige Einsätze bei kicker.TV bei Eurosport haben, relativ regelmäßig, so sechs bis zehn Auftritte. Das ist schon mal sehr schön, ohne dass ich mich wieder so reinwerfen muss, wie ich das 47 Jahre gemacht habe. Der Versuchung, noch mal ans Mikrofon zu gehen, habe ich widerstanden, weil ich einen sehr schönen Abschied hatte. Und weil ich damals gesagt habe, ich möchte zur richtigen Zeit mein Engagement beenden. Ich hoffe, dass ich da nicht rückfällig werde.
-Sie sind aber immer noch ein gern gebuchter Gast.
Mir wird nicht langweilig werden.
-Am letzten Spieltag, als Sie die Partie FC Bayern – SC Freiburg kommentierten, gab es Bayern-Mitarbeiter, die ein T-Shirt mit dem Hashtag #FritzLove trugen.
(lacht) Das ist in Bremen entstanden. Da gibt es einen Blog, der heißt fussballmachtspass.de. Die haben mich schon vor Jahren auserkoren und Diagramme erstellt von meinen Spielen und meiner speziellen Art zu kommentieren. Die haben mich geliebt. Und dann haben sie eine Auflage von 250 T-Shirts gemacht. Die waren weg in nullkommanichts. Ich habe noch eins bekommen. Meine Frau läuft jetzt damit rum, wenn wir zum Joga gehen. Das steht ihr besser als mir.
-Die letzten Monate waren aus Sicht des Fußballs extrem turbulent, von Ultradebatten bis zum grassierenden Transferwahnsinn. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Insgesamt hat mir die Entwicklung des Profifußballs schon eine gewisse Zeit nicht mehr gefallen. Es ist so eine schleichende Entwicklung: Diese Unruhe bei den Fans, diese Ultrageschichten, diese ewige Diskussion um Pyrotechnik, die ja geradezu gespenstisch ist. Auch dieser neue Trainertypus. Ich will gar nicht Laptop-Trainer sagen, das ist vielleicht ein bisschen despektierlich. Das sind Leute, die das große Ganze des Fußballs nicht mehr verstehen. Das sind alles Fachkräfte, die aber nicht mehr genau wissen: Wer zahlt Ihr Gehalt? Wie wichtig sind die Fans, die ja auch ein bisschen Nähe brauchen? Wie geht man mit den Medien um? Zum Beispiel Guardiola und Tuchel, tolle Trainer, aber sehr wissenschaftlich – das fließt mittlerweile sogar in die Kommentierung mit rein. Da geht es nur noch um zweite Pressinglinien und lauter solche Geschichten …
-. . . abkippende Sechser . . .
Dieses Normale, wie ich es gelernt habe, ist fast weg. Ich habe immer noch versucht, meinen Stil durchzusetzen. Dann haben viele gesagt, ich sei nicht analytisch genug. Das ist eine Entwicklung, die mir nicht so gut gefällt. Und natürlich habe ich auch das Gefühl, dass dieser Fußball zu einer Blase wird und irgendwann platzen kann. Aber vielleicht auch nicht. Der Fußball ist so stark. Bisher hat er alles überlebt. Aber es sind unerfreuliche Entwicklungen.
-Was haben Sie gedacht, als selbst auf diesem absurd hohen Niveau die Ablösesummen noch mal krass stiegen und ein Spieler plötzlich 222 Millionen Euro wert war?
Da sind Oligarchen am Werk, Chinesen, Jordanier, auch viele Amerikaner.
-Jetzt stehen ganze Staaten dahinter. Katar hat den Neymar-Transfer auch deshalb finanziert, weil das Emirat politisch zuletzt unter Druck stand.
Ja, jetzt hat es eine politische Dimension. Man hat immer gesagt: „Nee, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Mittlerweile kann man sich alles vorstellen. Ich habe noch erlebt, wie Roger van Gool für eine Million Mark nach Köln gekommen ist. Und dann habe ich mal nachgeschaut, wer eigentlich als Erster in Deutschland eine zweistellige Millionensumme gekostet hat. Das war Heiko Herrlich.
-1995, für elf Millionen Mark von Mönchengladbach nach Dortmund.
Da haben wir eine Parallele zu Dembélé. Herrlich hat genau das Gleiche gemacht. Der hat die Gladbacher und ihren Manager Rolf Rüssmann auch erpresst. Die Dinge wiederholen sich immer, man vergisst das nur irgendwann.
-Ein hoher zweistelliger Millionentransfer ist schon nichts Sensationelles mehr.
Ich habe immer gesagt, die richtig Guten, die Weltklassespieler, die die Stadien füllen und deren Trikots sich millionenfach verkaufen, die sollen kosten, was sie wollen. Mich hat nur immer gestört, dass auch die mittelmäßigen Spieler siebenstellig verdienen.
-Der Entwicklung werden keinerlei Grenzen gesetzt. Bis hin zum Transferexzess von Paris St. Germain.
Man müsste mal schauen, was los ist, wenn die UEFA das überprüft. Aber das weiß man ja vorher schon.
-Sie wird bestimmt nicht ihren mächtigsten Investor bestrafen.
So ist es. Da wird das ganze System ad absurdum geführt. Das gefällt mir nicht. Insofern habe ich vielleicht zum richtigen Zeitpunkt das Mikrofon aus der Hand gelegt.
-Die Partie PSG – FC Bayern ist fast schon ein Kampf der Systeme: Die Neureichen gegen den alten Adel.
Wenn man das so sieht: Uli Hoeneß auf der einen Seite, der Katari auf der anderen. Uli sagt ja immer, er müsse die Champions League nicht um jeden Preis gewinnen, dann verliert man halt im Prinzenpark. Ich habe Kylian Mbappé letzte Saison noch gesehen, im Viertelfinale mit Monaco gegen Dortmund. Sein Wechsel nach Paris war damals noch lange nicht unter Dach und Fach. Der ist ja auch jetzt nur ausgeliehen.
-Technisch ist es ein Leihgeschäft, in der Praxis aber der nächste Großtransfer.
Im Sommer, bevor Mbappé wechselte, habe ich noch gedacht, auch mit Neymar wird PSG die Champions League nicht gewinnen. Jetzt, mit Mbappé und Cavani, haben sie ein Trio da vorne drin, da muss man sie natürlich mit ins Kalkül ziehen.
-Aber sind auch Geschlossenheit und Harmonie käuflich? Den ersten Streit gab es ja schon.
Das haben wir ja auch immer bei Real Madrid gesehen.
-Mittlerweile ist Real schon fast ein Beispiel für moderate Transfers. Die jüngeren Erfolge hängen auch damit zusammen, dass der Kader nur punktuell verstärkt wurde.
Die sind nicht umsonst zuletzt zweimal Champions League-Sieger geworden. Aber wenn man auf die Bayern schaut, hätten sie letzte Saison natürlich Real schlagen können.
-Hat Robert Lewandowski nun Recht: Der FC Bayern muss offensiver investieren? Oder gerade nicht: Weil man letztes Jahr auf bewährte Weise schon nah dran war?
Man sieht ja, wie schwer es schon mit dieser Truppe ist, die Leute bei Laune zu halten. Wenn man dann noch einen für 100 Millionen da reinholt, wird es nicht leichter. Da sind Charaktere drin mit Vidal und Ribery – die sind und bleiben vermutlich auch unberechenbar. Vidal war für mich schon mitverantwortlich dafür, dass es nicht geklappt hat gegen Real. Man darf nicht vergessen: Lewandowski hat damals gefehlt. Er hätte den Elfmeter wahrscheinlich verwandelt (Anm. d. Red.: den Vidal im Hinspiel verschoss), dann wäre es anders gelaufen. Da hat man gesehen: Lewandowski kannst du nicht ersetzen.
-Darf er sagen, was er im Interview gesagt hat?
Ja. Seit Philipp Lahm (Anm. d. Red.: der 2009 am Verein vorbei ein kontroverses Interview gab) geht das. Das kann durchaus befruchtend sein. Ich weiß, dass Lewandowski alles gibt, aber auch sehr auf sich ausgerichtet ist, sehr egoistisch denkt. Dass er in dieser Hinsicht auch sehr von seinen Beratern gelenkt wird. Das war immer schon so. Selbst bei diesem Spiel gegen Anderlecht hat er nach Kimmichs Tor eine enttäuschte Geste gemacht. Weil er den Ball nicht bekommen hat.
„Müller muss spielen, das ist meine tiefste Überzeugung“
-Arjen Robben wurde schon oft sein Egoismus vorgeworfen. Aber er will immer glänzen, damit am Ende die Mannschaft profitiert. Bei Lewandowski ist die Reihenfolge andersrum.
Natürlich hast du als Trainer die Hölle, wenn du Robben nicht spielen lässt. Aber als Zuschauer spürst du richtig den Antrieb, den er hat, wenn er in seinem typischen Stil loslegt. Ich meine, Robben und Ribery hätten letztes Jahr Champions League-Sieger werden müssen. Denn jetzt wird es eng. Das ist die große Herausforderung für Ancelotti: die zwei so zu steuern, dass sie von den rund 50 Spielen bis zu einem möglichen Finale bei guter Laune und guter Gesundheit ihre 35 bis 40 machen.
-Was für eine Saison erwartet denn nun den FC Bayern?
Nach sechs Bundesligaspielen fehlen schon fünf Punkte. Das sorgt sofort für jede Menge Unruhe. Mehr denn je ist Carlo Ancelotti jetzt gefragt. Vielleicht hat er es sich in München zunächst auch einen Tick zu gemütlich gemacht. Jetzt muss er die Mannschaft mit all seiner Erfahrung, aber auch der nötigen Konsequenz neu ausrichten. Hasan Salihamidzic wird ihm als Bindeglied zwischen Team und sportlicher Leitung dabei helfen. Ich glaube auch, dass Willy Sagnol eine ganz wesentliche Rolle spielen wird. Zum Beispiel, weil er eine enge Verbindung zu Ribery hat. Das ist ja das Problem: Mit Ribery musst du viel sprechen, dich ständig mit ihm beschäftigen, dem musst du in die Augen schauen. Wenn Ancelotti ihn nur küsst, reicht das nicht. Und immer zum Tegernsee raus, damit ihn Uli Hoeneß beruhigt, das geht auch nicht.
-Bleibt noch die Personalie Thomas Müller.
Wesentlich ist, dass Ancelotti begreift, dass Thomas Müller mit Lewandowski spielen muss. Das ist meine tiefste Überzeugung, weil es letztlich auch Lewandowski hilft. Es war Pep Guardiolas großer Fehler vor zwei Jahren in Madrid, Müller nicht von Anfang an gebracht zu haben. Lewandowski braucht Müller, und beide werden von der Mannschaft gebraucht. Wenn das klar wird, dann wird sowieso alles gut.
-Das heißt, Bayern wird Meister? Oder doch Dortmund?
Bayern. Aber es wird enger als in den letzten Jahren. Die Frage ist halt, was in der Champions League passiert. Jetzt kommt zu den üblichen Favoriten noch Manchester City dazu, weil Guardiola da eingekauft und umgebaut hat. Und natürlich Paris St. Germain. Dann hast du noch die beiden Spanier. Also: Es wird nicht leichter.
Das Gespräch führte Marc Beyer