Gewinnstreben bremst ÖPNV aus

von Redaktion

Privates Unternehmen regelt Busverkehr: Stadträte diskutieren über neue Regelung

Rosenheim – Stadt und Landkreis wollen Bus und Bahn massiv stärken, damit diese Verkehrsmittel in der Region eine Alternative zum eigenen Auto werden. Darüber sind sich die Stadträte im Ausschuss für Verkehrsfragen und Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) fraktionsübergreifend einig. Wie sich dieses Ziel allerdings realisieren lässt, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.

In einer Sondersitzung hat sich der Ausschuss mit der Fortschreibung des Nahverkehrsplans (NVP) befasst. Der NVP stellt die Richtschnur für den ÖPNV in den nächsten fünf Jahren dar. Verkehrsplanerin Anja Witzel vom Büro „Plan-Mobil“ in Kassel präsentierte den Stand ihrer Untersuchungen. Und zeigte auf, in welchem Dilemma die Stadt steckt: In Rosenheim erbringt das Busunternehmen „Kroiss“ den Linienverkehr eigenwirtschaftlich – die Stadt zahlt dafür keine Zuschüsse. In Folge richtet sich das Angebot nach der Wirtschaftlichkeit, nicht in jedem Fall nach dem Bedarf. Als Beispiel nannte Anja Witzel den Samstagnachmittag. Gegen 14.30 Uhr endet der reguläre Busverkehr, ein ausgedünntes Nachtbussystem schließt sich an. Dazu komme, dass dieses nicht alle regulären Stationen bediene, wie Stadtrat Dr. Wolfgang Bergmüller (CSU) sagte. Das sei nicht mehr zeitgemäß. Die Geschäfte hätten bis mindestens 18 Uhr geöffnet – und so lange sollte es auch einen Busverkehr geben.

Sorge um lokale

Unternehmen

Wolle man die Betriebszeiten ausweiten, neue Linien einführen und einen dichteren Takt anbieten, müsse man diese Leistungen europaweit ausschreiben, sagte Witzel. Die ortsansässigen Unternehmen seien wahrscheinlich nicht in der Lage, solche zusätzlichen Leistungen zu erbringen und wären dann eventuell im Bestand gefährdet. Witzels Kompromissvorschlag: Die Stadt solle einerseits versuchen, Verbesserungen im Angebot zu erreichen, andererseits zusammen mit den heimischen Busunternehmen erarbeiten, in welchen Bereichen diese bereit wären, einen besseren und dichteren Fahrplan anzubieten. „Das könnte ein Weg in ein neues ÖPNV-System sein“, sagte Witzel.

Weitere Probleme, die es zu lösen gilt, sind nach ihrer Aussage unter anderem infrastrukturelle Defizite, wie fehlende Busspuren und defekte Ampelbevorrechtigungen sowie eine nicht ausreichende Barrierefreiheit. Dabei sei anzustreben, bis 2022 alle Haltestellen so auszubauen, dass sie für mobilitätseingeschränkte Menschen erreichbar sind. Die Fahrzeuge an sich seien nicht problematisch, da bereits ausschließlich Niederflurbusse mit einem hohen Komfort führen.

Online-Umfrage

mit 600 Teilnehmern

Geteilt fiel das Echo zu einer Umfrage zum NVP aus, an der sich online 600 User beteiligt hatten. Während die Verkehrsplanerin diese Rücklaufquote als gut einschätzt, hätten sich die Stadträte Herbert Borrmann (CSU) und Franz Opperer, der auch Oberbürgermeisterkandidat der Grünen ist, mehr erwartet. „Das ist nicht wirklich repräsentativ“, sagte Borrmann, der Vorsitzende der CSU-Fraktion, der sich eine Fragebogenaktion per Postwurfsendung hätte vorstellen können. Herbert Hoch, Geschäftsführer der Rosenheimer Verkehrsgesellschaft (RoVG), bezeichnete das Engagement dagegen als respektabel und erinnerte daran, dass man einen Kostenrahmen einhalten musste. „Wir haben noch nie so viele Beteiligungsschritte durchgeführt“, sagte er.

Ebenfalls ein Rosenheimer Problem, vor allem im Umland: nicht aufeinander abgestimmte Linien, die parallel verkehren. Ginge es nach der Stadt, wären sie längst in einem gemeinsamen Fahrplan gebündelt. Da die Vergabe der Konzessionen aber durch die Regierung für einen bestimmten Jahresrhythmus erfolge, seien den Verantwortlichen in der Region die Hände gebunden. Rechtsdezernent Hoch schloss in diesem Zusammenhang nicht aus, gegen das Vorgehen zu klagen, und stellte zudem einen Abstimmungstermin mit der Regierung von Oberbayern auf Spitzenebene in Aussicht.

Franz Opperer rechnete grundsätzlich mit dem Entwurf des NVP ab. Die Qualität des ÖPNV könne nur dann verbessert werden, wenn ein politischer Wille da sei. Angesichts des Bevölkerungswachstums plädiert er dafür, viel Geld in die Hand zu nehmen, um den ÖPNV in eine gute Zukunft zu führen. Auch der Fraktionsvorsitzende und Oberbürgermeisterkandidat der SPD, Robert Metzger, ist keinesfalls zufrieden. Man habe die Philosophie der Verbesserungen für den Fahrgast den Interessen der Unternehmen untergeordnet.

Stadträte verlassen

Sitzungssaal

Die Grünen hatten in diesem Zusammenhang einen Antrag mit diversen Punkten gestellt – von der Schaffung eines Verkehrsverbunds bis hin zum Linienverkehr an Sonn- und Feiertagen. RoVG-Chef Herbert Hoch war der Auffassung, dass diese Punkte im Rahmen der Diskussion und der Darstellungen durch das Büro „Plan-Mobil“ abgearbeitet worden seien. Opperer sah dies nicht so und beharrte auf der Behandlung des Antrags. Schließlich war aber nicht mehr klar, ob der Ausschuss zu jenem relativ späten Zeitpunkt noch beschlussfähig sei, da etliche Stadträte den Saal verlassen hatten. Zusammen mit Bürgermeister Anton Heindl (CSU), der die Sitzung leitete, und Baudezernent Helmut Cybulska einigten sich die Mitglieder des Ausschusses, erneut eine Sondersitzung anzuberaumen. Im Spätsommer soll über die offenen Punkte im Detail gesprochen werden.

Die CSU hatte zwar auch einen Antrag zu etlichen NVP-Themen gestellt. Da bis September jedoch die Möglichkeit besteht, Fragen aus den Fraktionen an das Planungsbüro zu stellen, und diese dann gesammelt und beantwortet werden, gingen die Stadträte im Ausschuss nicht mehr im Detail auf diese Forderungen ein.aez

Stimmen zum Nahverkehrsplan

• Der SPD-Oberbürgermeisterkandidat und Fraktionsvorsitzende Robert Metzger kritisiert, dass man an den Ringlinien festhalte, obwohl man wisse, dass sie nicht rentabel seien. Die Verkehrsexpertin Anja Witzel sagte, dass es aufgrund betrieblicher und infrastruktureller Gründe oft nicht möglich sei, Gegenverkehrslinien einzurichten. Die zu geringen Straßenbreiten oder parkende Autos am Fahrbahnrand machten dies unmöglich.

• Stadtrat Hans-Peter Lossinger (CSU) wollte wissen, warum es notwendig ist, neben dem Ticketzentrum in der Stadtmitte eine weitere Mobilitätszentrale am Hauptbahnhof einzurichten. Der CSU-Stadtrat und Fraktionsvorsitzende Herbert Borrmann hegt Zweifel, ob ein Ticketverkauf am Schalter heute noch zeitgemäß ist, angesichts von Apps und Echtzeitdaten. „Auf jeden Fall“, erwiderte die Planerin.

• Grünen-Stadtrat Franz Opperer vermisst sogenannte Durchmesserlinien, zum Beispiel von Aising direkt in den Aicherpark oder zurück. Schließlich sei es ein großes Problem des Rosenheimer Systems, für solche Fahrten zuerst in die Innenstadt fahren zu müssen, um dort in eine entgegengesetzte Linie umzusteigen. Anja Witzel sagte, die Einrichtung solcher neuer Direktbusse sei als Prüfauftrag im NVP-Entwurf verzeichnet.aez

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