Erbitterter Streit um Bahngelände Nord

von Redaktion

SPD-Fraktion wirft der Stadt vor, Chance für günstigen Wohnraum zu vergeben

Rosenheim – Die Rosenheimer Stadträte haben entschieden: Das Areal „Bahngelände Nord“ wird verkauft an die Erlanger „Sontowski & Partner Group“. Und nach deren Plänen bebaut. Der Beschluss fiel mehrheitlich. Vorausgegangen war ein heftiger Schlagabtausch zwischen der SPD-Fraktion und Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer (CSU).

Dass die Pläne der mittelfränkischen Immobilienentwickler nicht auf ungeteilte Zustimmung treffen, hatte sich bereits im vorberatenden Ausschuss abgezeichnet. Und doch prallten im Stadtrat die unterschiedlichen Positionen zwischen SPD und Stadt überraschend scharf aufeinander. Im Fokus der Auseinandersetzung stand die Frage, ob auf diesem lärmintensiven Gelände zwischen Bahngleisen und Münchener Straße Wohnen möglich ist – und wenn ja, in welcher Form (siehe Kasten unten).

Wie berichtet, plant „Sontowski“ im „Baufeld 4 West“ – also im direkten Anschluss an das digitale Gründerzentrum – einen Komplex, in dem sich Wohnungen finden sollen sowohl für Studenten als auch für Senioren. Beide Generationen sollen sich in einem privaten, Innenhof begegnen können, der nach Süden hin durch eine transparente Glasschallschutzwand geschützt werden wird.

SPD sieht einen Widerspruch

In den Augen der Sozialdemokraten widerspricht diese Planung vorherigen Aussagen der Stadt, wonach sich auf dem insgesamt 31470 Quadratmeter großen Areal kein Wohnraum schaffen lässt, weil für die Bewohner die Belastung durch den Lärm von Straße und Bahn viel zu groß wäre. Die Stadt ist derzeit Eigentümerin des Geländes und will es voraussichtlich noch im zweiten Quartal des Jahres an „Sontowski“ und die jeweiligen Vorhabensträger an „Sontowski“ verkaufen. Mit dieser Entscheidung vertut die Stadt, nach Ansicht der SPD-Fraktion, die Chance, preiswerten und auch sozialen Wohnraum für Menschen mit geringerem Einkommen zu schaffen. Die Sozialdemokraten hatte daher in einem Antrag ein Umdenken gefordert – offensichtlich mit dem Wissen, dass die Vertragsverhandlungen mit „Sontowski“ bereits auf einem guten Weg waren, und auch trotz eines Beschlusses, den der Rat mehrheitlich zum Nutzungskonzept getroffen hatte. Eine Mehrheit der Stadträte hatte, auf Initiative der Freien Wähler/UP, daraufhin im Ausschuss beschlossen, den Antrag von der Tagesordnung zu nehmen und zu einem anderen Zeitpunkt zu beraten.

Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer warf der SPD-Fraktion im Stadtrat vor, mit dem Antrag auch aus nichtöffentlichen Verhandlungen zitiert zu haben und die Stadt mit diesem „wahlkampftaktischen Manöver“ beim potenziellen Käufer in Misskredit zu bringen. „Ich lasse mir das Projekt nicht zerreden. Und ich habe so etwas als Oberbürgermeisterin nicht nötig, ich will seriös auftreten“, sagte Bauer deutlich erbost. Zugleich verwies sie darauf, dass kein Investor an der Münchener Straße günstigen Wohnraum schaffen könne. Dazu sei das Grundstück an sich schon zu teuer. Wer hier baue, müsse zudem in Lärmschutz investieren und in die Entsorgung von Altlasten.

Robert Metzger, Fraktionsvorsitzender der SPD, und auch sein Parteikollege Abuzar Erdogan, widersprachen der Oberbürgermeisterin mehrfach vehement. Erklärten, die SPD habe bereits im Vorfeld immer wieder auf den Bau von Wohnungen an dieser Stelle gedrungen. Es müsse möglich sein, über verschiedene Meinungen zu diskutieren. Erdogan warf Gabriele Bauer und der Verwaltung vor, die Öffentlichkeit völlig außen vor gelassen zu haben. Und stellte Bauer in Aussicht: „In fünf bis zehn Jahren werden sie den Menschen erklären müssen, warum sie hier keinen bezahlbaren Wohnraum geschaffen haben.“ Bauer verwehrte sich gegen den Eindruck, sie wolle keinen sozialen Wohnraum, verwies auf laufende Planungen, etwa an der Lena-Christ-Straße, wo rund 200 Wohnungen für sozial schwächere Mieter entstehen sollen.

Zwölf Stimmen dagegen

Die Abstimmung schließlich ergab eine Mehrheit von 28 Stimmen für den Verkauf an „Sontowski“ und für die Bebauung nach deren Plänen. Zwölf Stadträte stimmten dagegen. Zu ihnen gehören auch die Grünen. Sie warfen den Planern unter anderem Ideenlosigkeit vor, etwa weil die unterschiedliche Gestaltung der Fassaden fehle. Der Fraktionsvorsitzende Franz Lukas erinnerte zudem an die Vorgeschichte des Projekts, als die „Bayerische Wohnbau“ als möglicher Investor aufgetreten war, dann aber ihren hoch gelobten Vorschlag zurückzog. In der Folge sei die nun vorliegende Planung nur der „zweitbeste Vorschlag“, sagte Lukas, und warnte davor, „Sontowski“ und seine Objektgesellschaften könnten das Paket „Bahngelände Nord“ weiterverkaufen.

Wird der Vertrag zwischen der Stadt Rosenheim und der Erlanger Firma perfekt, entsteht auf dem Areal nicht nur das studentische Wohnen in Verbindung mit Wohnen für Senioren. Geplant sind zudem ein Parkhaus, ein Hotel mit 165 Zimmern sowie Einzelhandel, darunter ein Lebensmittelmarkt, und Gastronomie. Dazu Büros und Dienstleistungsräume, insbesondere in dem 40,5 Meter hohen Turm, der das Gelände zum Brückenberg hin abrunden wird.

Stimmen aus der Stadtratssitzung

Robert Metzger, SPD-Fraktionsvorsitzender: „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es nicht in Ordnung war, unseren Antrag abzusetzen. Wir behalten uns rechtliche Schritte vor.“

Gabriele Bauer, Oberbürgermeisterin (CSU): „Sie haben im Bauausschuss aus nicht-öffentlicher Sitzung diskutiert. Sie haben nichts anzuzeigen. Eher könnten wir etwas anzeigen. Jetzt alles über einen Haufen zu werfen, ist nicht seriös.“

„Sie unterstellen, dass ich keinen sozialen Wohnraum schaffen will. Da frage ich mich, was ist Ihr Sozialverständnis, wenn sie Wohnen an den Gleisen wollen.“

Robert Multrus, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler/UP Rosenheim: „Wir haben das Wohnen diskutiert, eine Entscheidung mit Mehrheit gefällt und die Nutzung festgezurrt. Diese Nutzung ist nicht die Idee des Investors, sondern es sind Vorgaben des Stadtrats.“

Rudolf Hötzel, Stadtrat der Republikaner: „Die Planung macht einen guten Eindruck und ich finde, es ist ein schlüssiges Konzept.“

Franz Lukas, Fraktionsvorsitzender der Grünen: „Es ist legitim gewesen von der SPD, einen Antrag zu stellen. Auch wir Grünen könnten uns eine andere Lösung vorstellen. Man sollte noch einmal nachdenken. Es ist nicht aus einem Guss, es ist ein Einheitsbrei.“

Josef Gasteiger, Stadtrat der CSU: „Ich habe bei Sontowski nach normalem Wohnraum gefragt. Und man sagte mir, es wird Wohnen an den Gleisen in Rosenheim möglich sein. Auf dem südlichen Bahngelände.“bw

Sonderform des Wohnens

Für den Laien mag es aussehen wie eine Kehrtwende: Wo über Jahre argumentiert wurde, auf dem nördlichen Gelände am Rosenheimer Bahngelände könne niemand wohnen, weil es viel zu laut ist, soll nun just Wohnen für Studenten und Senioren entstehen. Wobei die Stadt in einer Pressemeldung selbst einräumt, es ist nicht nur der Lärm, der hier stört, sondern auch die „Erschütterungs- und Geruchsimmissionen“.

Zur Begründung dieser nun doch möglichen Wohnbebauung teilt die Stadt mit: Das Areal kann nicht im Sinne eines allgemeinen Wohnens genutzt werden, das heißt, hier kann keine überwiegende Wohnnutzung erlaubt werden. Die Rechtssprechung sieht lediglich eine Wohnnutzung in Höhe von maximal 15 Prozent vor. Ebenso gegen allgemeines Wohnen spricht demnach, dass die Belastungen auf dem Gelände so hoch sind, dass Freisitze, Balkone oder auch Spielplätze nicht wirklich genutzt werden könnten. Es sei denn, man könnte die immissionsschutzrechtlichen Vorgaben einhalten, indem man für ausreichend Lärmschutz sorge. Das aber ist teuer, nicht nur im Bau, sondern auch im Unterhalt. In der Folge ist es „wirtschaftlich unmöglich, in diesem Bereich sozialgefördertes Wohnen anzubieten“. Außerdem weist die Stadt darauf hin, dass die Nutzung im Sinne von allgemeinem Wohnen am Bahngelände auch zu Einschränkung bei der Planung von Wohnungen führen würde, etwa dann, wenn es darum geht, wo in den Wohnungen die Schlafräume situiert werden können.

Planerisch ist nach Ansicht der Stadt davon auszugehen, dass Studenten und Senioren den Außenbereich um ihre Wohnungen jedoch „gar nicht oder nur sehr eingeschränkt“ nutzen. Daher kann diese Sonderform des Wohnens in dem erlaubten Umfang zugelassen werden. Der Bauherr muss dann aber den Nachweis erbringen, dass die Schallgrenzwerte, die der Gesetzgeber vorschreibt, eingehalten werden.bw

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