Rosenheim – Eine Situation, die jeder kennt: Man flaniert auf dem Christkindlmarkt. Und plötzlich drückt die Blase. Es ist dringend, Eile geboten – und daher der kürzeste Weg zum Klo der beste. So mancher entscheidet sich dann für einen nahegelegenen Laden mit Toilette, läuft in ein Café oder ein Restaurant. Und an dieser Stelle wird das zutiefst menschliche Bedürfnis zu einem echten Problem.
Unappetitliche
Erfahrungen
Es sind unappetitliche Geschichten, die Geschäftsleute und Gastronomen rund um den Max-Josefs-Platz in Rosenheim erzählen. Sie handeln von Menschen, die in Läden und Gaststätten stolpern und auf die Toilette taumeln – um dort nicht selten jeden Anstand vermissen zu lassen. Von brennenden Kerzen im Papiereimer ist zu hören. Von Wachs und Kerzen, die, in den Ablauf der Schüsseln geworfen, das Klo verstopfen und zum Überlaufen bringen. Einmal sei das Wasser schon hinaus geschwappt bis in die Verkaufsräume. Viele dieser Vorfälle gründen wohl auf dem hohen Alkoholpegel der Toiletten-Nutzer.
Betroffen ist auch das Gasthaus Stockhammer. Direkt am Max-Josefs-Platz gelegen, ein beliebtes Ziel für Eilige. Die Toiletten sind in der Schwemme untergebracht, einem Bereich, der während der Adventszeit bestuhlt und von Gästen gerne besucht wird. Manche fühlen sich gestört durch den lärmenden Andrang vor den WCs. Was also tun? Die Gäste beschwichtigen? Alle Toiletten-Nutzer von draußen abweisen? Eine schwierige Situation für das Service-Team. Denn Gastronomie lebt von Freundlichkeit und Kundenorientierung. Und doch haben sie sich beim Stockhammer dazu entschlossen, ein Schild an die schwere hölzerne Eingangstür zu kleben: „Keine öffentliche Toilette“ steht dort, verbunden mit der Bitte um Verständnis, dass „die Waschräume ausschließlich unseren Gästen vorbehalten sind“. Zum Thema äußern möchte sich die Geschäftsführung nicht. Zu groß ist die Sorge, es könnte Missverständnisse geben. Gäste könnten sich unhöflich behandelt fühlen. Dabei gilt die Sorge beiden Seiten: denen, die im Restaurant sitzen, um zu essen, zudem jenen, die vielleicht einmal Gast werden, im Moment aber einfach nur zur Toilette gehen wollen. Ein Konflikt, den es gleichermaßen im Einzelhandel gibt, wie das Beispiel von Ursula Kramer zeigt.
Gemeinsam mit einer Freundin verbindet die 51-Jährige den Besuch des Chirstkindlmarktes mit einem Shopping-Bummel. In einem großen Bekleidungsgeschäft mit zentraler Verwaltung in Düsseldorf steht sie bereits in der Umkleide, als sie merkt, dass sie austreten muss. Sie hat Glück: Das Haus verfügt über eine Kundentoilette. Als sie allerdings dort ankommt, stellt sie fest: Das WC ist verriegelt. An der Tür ein Schild: ab 17 Uhr geschlossen, wegen des Christkindlmarktes. Pech für Ursula Kramer. Sie ist um einige Minuten zu spät. Hilfesuchend wendet sie sich an eine Verkäuferin. Vergeblich. Sogar der Hinweis, dass sie doch Kundin sei, eine Kundenkarte dies belege, habe nicht geholfen, erzählt sie. Und selbst als sie sagt, sie leide unter Multipler Sklerose, sei zu 80 Prozent schwerbehindert, sei die Verkäuferin hart geblieben: Nach 17 Uhr gibt es keinen Zugang. Ursula Kramer muss gehen, gemeinsam mit ihrer Freundin und Günter Schmitt, einem Kunden, der die Situation beobachtet hat. Er bringt Kramer zum Café Bergmeister, direkt am Platz gelegen. Schildert den Verkäuferinnen die Situation. Anstandslos gibt das Personal den Schlüssel zur Toilette heraus. Die Not hat ein Ende.
Die Situation im Bekleidungsgeschäft sei „beschämend“ gewesen, sagt Ursula Kramer später. „Ich hätte beinahe in die Hose gebieselt. Es war unglaublich.“ Auch Günter Schmitt (70), Diplom-Ingenieur und gebürtiger Rosenheimer, ist entsetzt über so viel Kundenfeindlichkeit. Selbst seine Beschwerde bei der Zentrale des Bekleidungshauses in Düsseldorf habe nicht gefruchtet: „Ich habe mich abgewimmelt gefühlt“, sagt er. Auch gestern ist aus Nordrhein-Westfalen keine Stellungnahme zu dem Vorfall zu bekommen. Für Günter Schmitt und auch für Ursula Kramer jedenfalls steht fest: Sie werden dort nicht mehr einkaufen – das Café Bergmeister aber in bester Erinnerung behalten.
Über so viel Lob für sein Café freut sich Willy Bergmeister allerdings nur mit gemischten Gefühlen. Denn er und sein Personal sehen die Tage des Christkindlmarktes durchaus kritisch. Weil auch sie zu kämpfen haben mit angetrunkenen Besuchern, die sich nicht an die gängigen Hygiene-Regeln halten wollen. Eine Zumutung für alle anderen Gäste sei das, sagt Bergmeister. Deshalb hat er sich dafür entschieden, die Toiletten-Türen generell geschlossen zu halten. Wer muss, muss nach einem Schlüssel fragen. Ausnahmen? Ja, die gebe es, sagt er. Bittet aber zugleich eindringlich um Verständnis, „dass die Toiletten wirklich und ausschließlich für die Kunden des Cafés zur Verfügung stehen“. Bergmeister ist ein gebranntes Kind. Früher sei das Café „die öffentliche Toilette des Christkindlmarktes“ gewesen. Die Nutzer von draußen seien nicht einmal davor zurückgeschreckt, Duftspender und Wickelauflagen zu stehlen. „Es war und ist grauenhaft“, sagt Bergmeister.
Appell an
die Manieren
Die Situation ist komplex: Der Christkindlmarkt ist eine Attraktion, ein Aushängeschild der Einkaufsstadt Rosenheim. Ein Ereignis, das Umsatz bringt, auch für die Geschäfte und Gastronomie-Betriebe. Veranstaltet vom Wirtschaftlichen Verband, dessen Projektleiter Klaus Hertreiter ist. Er kennt die Problematik, verweist zugleich auf den mobilen Container, den der Verband an der Heilig-Geist-Straße aufgestellt hat. Dort, in unmittelbarer Nähe zu den weihnachtlichen Buden, stehen zwei Toiletten bereit: eine für die Besucher, eine für das Personal des Christkindlmarktes. Auch die Stadt bietet nahegelegene WCs an: in der Königstraße 1 und im Parkhaus Mitte, Heilig-Geist-Straße 15. Doch irgendwas funktioniert nicht.
So bleibt die Frage, was zu tun ist. Welche Lösung es für alle Beteiligten geben könnte. Franz Bergmüller meint, die Stadt müsse mehr tun, für zusätzliche Toiletten sorgen. Der Vorsitzende der Kreisstelle Rosenheim im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband findet darüber hinaus, die Stadt sollte „den Wirten eine Entschädigung“ zahlen. Bergmüller, selbst Gastronom, ist verärgert über die Situation jedes Jahr im Advent. Aber vor allem ist er sauer auf die Toiletten-Nutzer mit den schlechten Manieren. „Sie sind unhöflich. Früher war das anders.“