Rosenheim – Dass die Liebe zum eigenen Bild, also zum Selfie mit dem Handy, manchmal richtig nützlich sein kann, belegt diese Verhandlung vor dem Amtsgericht Rosenheim. Angeklagt ist ein 28-jähriger Nigerianer aus Rohrdorf. Der Vorwurf lautet auf gefährliche Körperverletzung.
Angriff mit
der Bierflasche
Warum der 28-Jährige täglich und in allen möglichen Alltagssituationen Selfies von sich und seinen Outfits macht, bleibt vor dem Amtsgericht unklar. Fakt ist allerdings, dass ihn seine Leidenschaft letztendlich vor einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung bewahrt hat.
Laut Strafbefehl sollte der Angeklagte im August 2017 an der Bahnhofstraße in Rosenheim mit einem 55-jährigen Münchner aneinandergeraten sein. Wie die Ermittlungen ergaben, soll der Angeklagte mit dem Fahrrad auf dem Gehweg mitten durch eine Gruppe Menschen geradelt sein, zu der auch der 55-Jährige gehörte. Dabei soll der Radfahrer den Fußgänger gestreift haben. Wie der Geschädigte aussagte, habe er den Radfahrer daraufhin gebeten, etwas vorsichtiger zu sein. Das sei bei dem Radfahrer aber nicht gut angekommen, sagte der Münchner. Im Gegenteil: Er habe das Fahrrad beiseitegelegt und sei mit einer Bierflasche auf sein Opfer losgegangen. Den ersten Angriff habe er abwehren können und gedacht, dass damit die Situation geklärt sei, sagte der 55-Jährige aus. Dann sei er weitergegangen. Doch der Angreifer habe ihn erneut mit Fäusten angegriffen. Er sei über einen Stein gestolpert und hingefallen. Als er am Boden gelegen sei, habe der Mann versucht, auf ihn einzutreten, doch Passanten seien dazwischen gegangen und hätten dies verhindert, sagte der 55-Jährige. Nach eigener Aussage erlitt das Opfer bei der Attacke einen knöchernen Abriss des Trizeps und massive Prellungen. In der Folge sei er mehrere Monate arbeitsunfähig gewesen.
Opfer erkennt
Täter nicht
Der 55-Jährige beschrieb den Angreifer als dunkelhäutig mit langen Rasterlocken und „einem Wuschelkopf wie Bob Marley“. Zudem habe der Täter weiße Turnschuhe getragen. Bei der Polizei hatte der Münchner nach Wahllichtbildervorlage seinen Angreifer „zu 99,9 Prozent fast sicher erkannt“. Im Gerichtssaal war er sich jedoch nicht mehr sicher, weil der Rohrdorfer „eine ganz andere Haarpracht“ hatte. Die Haare seien viel kürzer. Übereinstimmung gab es nur bei der Schuhfarbe. „Ich trage immer weiße Turnschuhe, aber ich war das nicht“, sagte der 28-Jährige.
Er hatte Einspruch gegen Strafbefehl über 120 Tagessätze zu je 40 Euro eingelegt und bestritt den Tatvorwurf vehement. Aus seiner Sicht handelte es sich um eine Verwechslung. Zum Beweis seiner Unschuld zeigte er dem Gericht eine Unmenge von Selfies auf seinem Handy, die sein Erscheinungsbild am Tattag mit Datum und Uhrzeit dokumentierten. Auf allen Bildern, beispielsweise beim morgendlichen Ankleiden, beim Verlassen der Wohnung, in der Mittagspause im Park oder in der Umkleidekabine eines Kaufhauses war der junge Mann mit kurzem Haar zu sehen.
Nachdem sich der Sachverhalt des Strafbefehls nicht bestätigt hatte, beantragte die Anklagevertretung, den Nigerianer freizusprechen. Verteidiger Christian Köpping schloss sich an, ebenso wie Richterin Bärbel Höflinger.