Ovb-Serie In alten Zeitungsbänden geblättert – Vor 50 Jahren große Debatte
Der Bunker am Bahnhof soll weg
Rosenheim – Ein Blick zurück in die Vergangenheit sagt viel über die Entwicklung einer Stadt und die Sichtweise früherer Generationen. Vieles wiederholt sich auch in verblüffender Weise. Wir haben deshalb in alten Zeitungsbänden geblättert und präsentieren in unregelmäßigen Abständen die interessantesten Dinge aus bestimmten Jahren. Heute geht es um die Zeit vom 3. bis 16. Dezember.
„Pressefreiheit. Die zahlreichen Anschläge eigenmächtig vorgehender Militärpersonen auf die Freiheit der Presse gehen auch der ,Münchener Post‘ über die Hutschnur. So kommt sie in ihrer letzten Nummer auf den Fall des ,Wendelstein‘ zu sprechen, wo zwei Abgesandte des Rosenheimer Volks- und Soldatenrates in der Redaktion des Blattes erschienen und erklärten, daß die Haltung des Blattes einen Mißbrauch der verheißenen Freiheit darstellt und daß sie Macht und Weisungen von München haben, die Betriebsräume des ,Wendelstein‘ militärisch zu besetzen, falls die Redaktion bei ihrer Haltung zur Regierung verharre.“
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„Aus dem Sitzungsbericht des Stadtmagistrats Rosenheim vom 15. November 1918. Vor Eintritt in die Tagesordnung wies der Vorsitzende auf die seit der letzten Magistratssitzung vom 5. November im Reich und in Bayern erfolgten grundstürzenden politischen Aenderungen hin und gab unter Zustimmung der Magistratsmitglieder die Erklärung ab, daß auch der Magistrat sich – unter Wahrung der Gesinnung des Einzelnen – im Interesse des Vaterlandes und des Volksganzen in den Dienst des neuen Volksstaates Bayern stelle.“
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„In Rosenheim hat sich aus zahlreichen wirtschaftlichen Vereinigungen heraus ein Bürgerrat gebildet. Um diese Bewegung auf einen breiten Boden zu stellen, war für gestern nachmittag ins ,Hotel Gillitzer‘ eine Versammlung anberaumt, die von hiesigen Bürgern und Bürgerinnen trotz des ungünstigen Zeitpunktes so zahlreich besucht war, daß im Saale wohl kein Platz frei blieb. Der Hauptredner, Herr Rechtsanwalt Gerner aus München, kam zunächst auf den Umsturz zu sprechen. Das demokratische System, wie es über Nacht entstanden sei, habe die Anerkennung des Volkes gefunden. Die alten Gewalten hatten vollständig abgewirtschaftet und durch ihren jähen Sturz bewiesen, daß sie keine Existenzberechtigung besitzen.“
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„Die frühere Königin Maria Therese fuhr gestern Nachmittag 3 ¾ Uhr im Automobil durch Rosenheim. Sie befand sich auf der Reise nach München. In ihrer Begleitung befanden sich Graf Moy und einige Hofdamen.“
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„Eine Arbeitersfrau in der Kaiserstraße, die seit Monaten ein Liebesverhältnis mit einem jungen, schneidigen Metzger unterhielt, wurde gestern abend beim Stelldichein von ihrem Ehemann überrascht, der seine teure Gattin mit einigen tüchtigen Faustschlägen nach Hause beförderte und so dem ,Idyll‘ ein rauhes Ende bereitete.“
„Die Panger Bauern sind wieder einmal in Unruhe geraten. Nach der Flurbereinigung, dem Bau des Inntaldreiecks und der Grundabtretung für die Autobahn-Raststätte Pang können sie nun erneut damit rechnen, weitere Grundstücke zu verlieren. Die Ursache ist eine vom Bund geplante neue Entlastungsautobahn, die vom Inntaldreieck nach München führt. Das war der Anlaß für die von Bürgermeister Seemann kurzfristig angesagte Versammlung beim ,Alten Wirt‘. Aufmerksam wurde die Gemeindeverwaltung, so sagte Seemann, als ein vom Gemeinderat befürwortetes Baugesuch im ausgewiesenen Baugebiet Paffingerfeld nicht ,von oben her‘ genehmigt wurde, da gerade hier die Trassenführung der neuen Autobahn zu erwarten sei. Der Verlauf der geplanten neuen Entlastungsautobahn soll vom Inntaldreieck über das Panger Feld (im Bogen am Café Neu entlang) mitten durch das Pfaffinger Baugebiet, an Schlipfham vorbei, südlich von Kolbermoor nach Bad Aibling und von hier etwa parallel der alten Münchener Straße an den Hauptanschlußring von München führen (Diese Planung wurde nie umgesetzt. Auch die Autobahnraststätte Pang gibt es nicht. Anmerkung der Redaktion.).“
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„Zum Thema Bahnhofsvorplatz. ,Nun hat vor einigen Tagen ein Gespräch zwischen dem Oberbürgermeister und der Bundesbahndirektion stattgefunden, das sich um die Beseitigung des alten Luftschutzbunkers dreht, der schon einmal gesprengt werden sollte und dabei eine hohe Widerstandskraft bewies. Ehe nicht der Bunker eingeebnet ist, kann nicht an eine Neugestaltung herangegangen werden. An dieser Neugestaltung müsse aber in erster Linie die Bundesbahn interessiert sein, sagte Oberbürgermeister Dr. Steinbeißer. Unter diesen Voraussetzungen wird es wohl noch sehr lange dauern, bis es hier zu tragbaren Verhältnissen kommt.“
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„Aufsehen erregte gestern in den Straßen Rosenheims ein Autokorso der Ingenieursstudenten. Auf knalligbunten Plakaten protestierten sie gegen die Kulturpolitik des bayerischen Kultusministers Huber. Nach Meinung der Studenten sind ihnen nach dem Vorlesungsboykott im Sommer Reformen versprochen worden, die bis jetzt nur unzureichend durchgeführt werden.“
„Für teures Geld hat die Stadt unter dem Rathausvorplatz eine Tiefgarage gebaut. Theoretisch können die Besucher auch schon seit einem Jahr hineinfahren. In der Praxis aber fühlen sich die Autofahrer durch ein ständiges Besetzt-Zeichen abgewiesen. Dabei sind im Untergrund durchaus immer wieder Plätze frei. Nur das richtige Computerprogramm für die Schranken- und Signalregelung fehlt noch. Deshalb wurde die Ampel am Eingang dauernd auf ,Besetzt‘ geschaltet. Wer kommt da schon auf die Idee, trotzdem hineinzufahren?“
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„Seit Inkrafttreten der neuen Asylbestimmungen wird der Stadt nicht mehr wöchentlich eine bestimmte Anzahl an Asylbewerbern zugeteilt. So bleibt die Zahl derer, die einen Wohnplatz benötigen, in etwa gleich. Zum Teil sind die Asylbewerber auch in Gasthäusern untergebracht. Für sie wird von der Regierung von Oberbayern im Bereich des Bahnhofs eine neue Unterkunft gebaut. Die meisten der 364 Bewerber stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Viele Flüchtlinge kommen aus Bosnien und dem Kosovo (zum Vergleich: Am 31.August dieses Jahres waren insgesamt 557 Personen in Asylbewerberunterkünften in Rosenheim untergebracht, Anmerkung der Redaktion).“re