Rosenheim – Wenn Thomas Schiedeck mit seiner Rikscha durch die Rosenheimer Innenstadt fährt, zieht er viele Blicke auf sich. Möglicherweise liegt es an der lauten Gute-Laune-Musik, die aus seinem roten Lautsprecher kommt, oder an der Blumendekoration an der Dachbefestigung. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass die Rikscha in Rosenheim eher selten ist.
Thomas Schiedeck erwartet mich bereits vor dem OVB-Medienhaus in der Hafnerstraße. Bayernflagge hinten, Lebkuchenherz auf der rechten Seite, Preisliste auf der linken. Die Sitzfläche erinnert an einen Strandkorb, komforthalber mit einem Schafsfell ausgelegt.
Seit zwölf Jahren mit der Rikscha unterwegs
Seit 2006 ist der 54-Jährige jetzt schon mit der Rikscha unterwegs. „Das erste Mal gefahren bin ich in Berlin. Es war schön und hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich der gebürtige Münchner. Zurück in seiner Heimat entschloss er sich, kurzerhand selbst dieser Berufung nachzugehen. Gesagt, getan: Schiedeck lieh sich eine Rikscha aus, war erstmalig auf dem Dauchauer Volksfest unterwegs. Es folgten die Wiesn in Rosenheim. Der 54-Jährige fasste den Entschluss, sich selbst einen solchen Drahtesel anzuschaffen. „Ich habe eine Rikscha über das Internet gekauft. Es hat circa drei Monate gedauert, bis ich alles zusammengebaut hatte“, so der sympathische Radlfahrer. Über die letzten zwölf Jahre nahm Schiedeck immer mehr Verbesserungen vor. „Jetzt ist sie in einem Zustand, in dem ich problemlos 14 Tage Wiesn durchstehen kann, ohne einen großen Schaden zu haben.“
Noch sitzt der 54-Jährige selbst im Sattel, die Musik hat er ausgeschaltet, damit wir uns besser unterhalten können. Entspannt lehne ich mich zurück, während Schiedeck in die Pedale tritt. Kinder zeigen mit dem Finger auf uns, Erwachsene unterbrechen ihre Gespräche und beobachten uns lächelnd. Ich genieße die Fahrt und beobachte interessiert meine Umgebung. „Nur selbstbewusste Menschen können Rikscha fahren, weil man immer und überall auffällt“, erklärt mein Chauffeur.
Die Strecken, die er zurücklegt, sind unterschiedlich lang. Manche dauern nur wenige Minuten, aber auch Fahrten nach Bad Aibling und Raubling kommen des Öfteren vor. „Am Abend fahre ich zu den Clubs oder Bars“, erklärt Schiedeck und fügt hinzu: „Es ist einfach cool, sich mit der Rikscha vorfahren zu lassen. Das ist den meisten fünf bis sechs Euro wert und für uns ein lukratives Geschäft, weil es eine Kurzstrecke ist.“
60 Kilometer
am Wochenende
In der Nähe des Nepomukbrunnens machen wir eine Pause. Schiedecks Arbeitstag beginnt erst in wenigen Stunden. „Am Vormittag schlafe ich meistens aus. Das Nachtgeschäft beginnt gegen 22 Uhr und geht an manchen Tagen bis 5 Uhr morgens“, so der 54-Jährige. An normalen Wochentagen werden zwischen 25 und 40 Kilometer zurückgelegt. „Am Wochenende können es bis zu 60 Kilometer werden“, erklärt er.
Scherzhaft frage ich ihn, ob so ein Arbeitstag denn anstrengend ist. „Das kannst du nachher gleich mal ausprobieren“, antwortet er und lacht. Kurz überlegt er: „Die kurzen Strecken und das Anfahren mit den Fahrgästen gehen ganz schön auf die Beine. Wenn man im Rollen ist, dann geht es eigentlich.“
Ein Blick auf Schiedecks Beine verrät: Er ist durchtrainiert und hat Waden, von denen viele nur träumen können.
Doch was genau ist das Besondere am Rikschafahren? „Nach den ersten Metern fangen die meisten an zu lachen. Die Rikscha ist wie ein großer Kinderwagen. Leute finden es schön, wenn sie chauffiert und hofiert werden. Es ist ein glückerfülltes Lebensgefühl“, weiß der 54-Jährige.
Ein Gefühl, das er selbst erlebt hat und das ihn durch schwere Zeiten half.
Der gelernte Buchbindermeister war zwölf Jahre in der Verpackungsindustrie tätig. Nur ungern denkt er an diese Zeiten: „Ich wurde gemobbt, bin schwer erkrankt und mir wurde gekündigt.“ Ein schweres Jahr für den sonst so lebensfrohen Münchner. „Ich habe an meinem Hals dann auch noch einen Knoten entdeckt. Durch die Chemotherapie und Bestrahlung war ich für ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt.“
Lange Zeit wusste er nicht, wie es weitergehen sollte. „Das Rikschafahren hat mir geholfen auf der Spur zu bleiben. Ich hatte eine Aufgabe und einen geregelten Tagesablauf.“ Schiedeck hielt sich nicht nur körperlich fit, sondern lernte durch seine offene und liebenswürdige Art eine Vielzahl von Menschen kennen. „Ich bin mit vielen Fahrgästen ins Gespräch gekommen, habe aktiv nach einem Job gesucht und einen gefunden“, sagt er und strahlt. Man gönnt es ihm. Seine Lebensfreude ist ansteckend.
„Man muss die Dienstleistung einfach leben“, fährt er fort. Egal ob Blasenpflaster benötigt werden oder ein Radl kaputt ist, und zur nächsten Werkstatt transportiert werden muss, Thomas Schiedeck ist der Mann für alles. Auch vor Romantik schreckt er nicht zurück. „Ich fahre Pärchen oft durch die Nacht und kenne ein paar schöne Strecken. Mit der richtigen Musik taugt es den Fahrgästen besonders gut“, erzählt Schiedeck und fügt hinzu: „Es endet meistens damit, dass nach einem Hotel gefragt werde.“
Übung macht
den Meister
Bevor es zurück in die Redaktion geht, will ich mich selber im Rikschafahren ausprobieren. Kurz weist mich Schiedeck ein und fährt zahlreiche Achten auf dem Max-Josefs-Platz. Ich bezweifle, dass ich mit einem einfachen Fahrrad zu solchen Kunststücken in der Lage bin, geschweige denn mit einer Rikscha und zusätzlichem Gewicht. „Am besten du probierst es erst mal ohne Fahrgäste“, ermuntert er mich. Ich nehme auf dem Sattel Platz und verfluche mich kurz selbst für meine Schuhauswahl. „Feste Schuhe wären natürlich nicht schlecht“, scherzt auch Schiedeck. Ich atme tief durch und probiere, die Pedale zu bewegen, ohne Erfolg. „Ist die Bremse noch drin?“ frage ich den Profi, der nur den Kopf schüttelt.
Beim zweiten Versuch bewege ich das Gefährt einen Millimeter, stoppe aber abrupt, weil ich das Gefühl habe zur Seite zu kippen. Da aller guten Dinge drei sind, setze ich noch einmal an. Überzeugt davon, dass die Passanten in meiner Nähe um ihr Leben bangen, steige ich vom Sattel und nehme im hinteren Teil der Rikscha platz. „Übung macht den Meister“, sagt Schiedeck und tritt in die Pedale. Das macht Hoffnung.