40 Stunden nonstop im Rennsattel

Krämpfe, Kälte und Kampf gegen Sturm

von Redaktion

„Der spinnt“, sagten Freunde. Das galt gleich für zwei, die 40 Stunden nonstop im Rennsattel 1060 Kilometer runter rissen. Mit schmerzendem Po der eine, mit geschwollenen Knöcheln der andere, aber bester Laune, hatten doch Christian Kupfernagel und Fred Pichler eine Spendenaktion auf diese Weise erheblich mitgefüttert.

Rosenheim/Brannenburg – Mit der Extrem-Tour ist den beiden zusammen mit 34 weiteren Radfahrern, vornehmlich aus Bayern, fast eine Erdumrundung geglückt. „Wenn wir, wie geplant, 40 gewesen wären, hätte es geklappt“, so Christian Kupfernagel über den ursprünglichen Nebeneffekt.

Im Vordergrund indes stand die Aktion „Radeln und Helfen“ der gleichnamigen gemeinnützigen Organisation, die Spendengelder für hilfsbedürftige und benachteiligte Kinder sammelt – durch ganz spezielle Gruppen-Radtouren.

Gel-Sättel sind der „Tod“ des Hinterns

Für den leidenschaftlichen Rennradsportler Christian Kupfernagel (40), der Extremdistanzen liebt, nicht nur eine sportliche Herausforderung, sondern auch eine Ehrensache, mitzumachen. Was Fred Pichler, mit 62 Jahren der älteste Teilnehmer und fit wie ein Turnschuh, nur unterstreichen kann. Apropos Fitness: Bei der Bewerbung mussten alle Teilnehmer ihre körperliche und psychische Verfassung nachweisen.

Kein Problem: Der 40-jährige Kupfernagel machte schon bei 24-Stunden-Rennen und extremen Mountainbike-Strecken mit, Fred Pichler hat Erfahrung bei den schwersten Rennen in Österreich, etwa dem Kitzbühler Horn- und Hahnenkamm-Rennen mit 22-prozentiger Steigung. Aber jetzt?

Non stop um 4.30 Uhr früh ab Flensburg gestartet, am nächsten Tag um 20.30 Uhr den Zielort Oberwössen erreicht: zwischendurch Krämpfe, die Verdauung macht Probleme und das stundenlange Sitzen fordert seinen Tribut. „Der Hintern schmerzte und ich hatte erste Schwierigkeiten mit der Konzentration aufgrund der Übermüdung“, erinnert sich Christian Kupfernagel an die ersten absolvierten 22 Stunden. Übrigens nicht auf einem Gel-Sattel, der hätte alles nur noch verschlimmert. Denn es gilt: „Je härter der Sattel, desto besser kommt man durch.“ Die ständige Kälte – im Vogtland herrschten mitten im Sommer lediglich 6 Grad – und zusätzlich zu mobilisierende Kräfte beim Kampf gegen Windstärke 8 (ein stürmischer Wind mit einer Geschwindigkeit von 62 bis 74 Stundenkilometern) waren weitere Hemmnisse.

Und plötzlich

war die Brücke weg

Holprige und zeitaufwendige Umwege wegen plötzlich gesperrter Straßen wirbelten zudem den Zeitplan durcheinander, sorgten im Endeffekt für eine Verspätung. Nur aufzuholen, indem eine kleine Teilstrecke am letzten Tag in den Begleitfahrzeugen bewältigt wurde.

Sogar ein Fluss musste mit geschobenem Rad durchquert werden. „Die kleine Brücke in Schleswig-Holstein war bei einem Unwetter weggerissen worden“, erklärt Fred Pichler. Vier der Teilnehmer hätten sich dabei an herausragenden Nägeln einen Platten geholt.

Für solcherlei Pannen standen drei Begleitfahrzeuge mit je drei Mann bereit. Sie transportierten neben Ersatzteilen auch die individuellen Boxen mit Snacks und Klamotten zum Wechseln. Alle zwei Stunden hatten die Extrem-Radsportler fünf Minuten „Erholungszeit“ bei einem Kurz-Stop, nach weiteren zwei Stunden zehn Minuten, um zur Toilette zu gehen, Vorräte aufzufüllen und sich aus der Box zu bedienen.

„Eigentlich“, sagt Christian Kupfernagel, „hätte man 100 Müsliriegel über die 1060 Kilometer essen müssen, um die nötigen Kalorien zu haben.“ Doch dafür fehlte den meisten die Spucke: Das Fahren machte trockene Münder, gleichwohl die Füße ständig im Wasser standen. „Es regnete nahezu ununterbrochen, die Schuhe liefen voll“, sagen die beiden.

Christian Kupfernagel, beruflich im medizinischen Bereich tätig, hatte für den Energiebedarf vorgesorgt: mit konzentrierter Flüssignahrung. Fred Pichler schwor auf Datteln. „Entkernte“, lacht er. An den Pausenstationen hielten zudem die Helfer Bananen und geschnittene Äpfel parat, füllten Flaschen auf, waren einfach da.

Vor dem Start hatte es ein Briefing durch Initiator Gerhard Dashuber (rief 2012 die gemeinnützige Organisation ins Leben) gegeben. Dazu gehörte das Fahren im Windschatten (belgischer Kreisel), um Kräfte zu sparen, Verhalten bei Erschöpfung und Verwenden der Notfallarmbänder. Für die technische Ausrüstung der (eigenen) Räder sorgten die Fahrer. „Zehn bar Luftdruck im Reifen, damit rollt man besser. Das wirkt wie ein Kompressor“, sagt Christian Kupfernagel. Nachteil: Man spürt jedes spitze Steinchen.

Schlaflos bis zum „großen Bahnhof“

Am Ziel Oberwössen waren alle platt nach 1060 Kilometern, ohne Schlaf, aber überwältigt vom „großen Bahnhof“ durch Familie, Freunde, Publikum – und von Live-Musik und Party.

Haben die beiden bei all den Strapazen jemals ans Aufhören gedacht? „Nie“, sagen sie und Christian Kupfernagel weiß auch, mit einem Augenzwinkern, warum: „Männer-Gen. Da will man nicht aufgeben.“

Aber im Ernst: Es ging um den guten Zweck, unterstützt durch Paten und Sponsoren (bis Ende September können diese sich noch einbringen, über 67000 Euro kamen bisher zusammen). Den Unterstützern sei man etwas schuldig gewesen, auch den Helfern, die an einen glaubten, versichern Christian Kupfernagel und Fred Pichler, die sich erst durch ihr Hobby auf dieser Extrem-Tour kennengelernt haben.

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