Rosenheim – Sicherheit ist ein subjektives Empfinden – das wurde bereits vor einigen Wochen beim Sicherheitsgespräch zwischen der Stadt Rosenheim und dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd deutlich. Zwar bescheinigt die Statistik ein vergleichsweise hohes Maß an Sicherheit – die Zahl der Straftaten rangiert in Rosenheim auf einem Zehn-Jahres-Tiefstwert. Dennoch ist die Wahrnehmung einiger Bürger eine andere. Begründet dürfte diese Angst nicht zuletzt im Wissen um mehrere dramatische Einzelfälle wie den beiden Vergewaltigungen am Inndamm und am Mangfallkanal liegen.
Schon im Zuge des Sicherheitsgesprächs stand die Idee im Raum, sich bei einem Nachtrundgang ein Bild von den „Brennpunkten“ im Stadtgebiet zu machen. Dahin zu gehen, wo man sonst nicht hinkommt. Schließlich, so Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer, komme sie laut eines Mitarbeiters ja „aus dem Elfenbeinturm“. „Das haben wir schon mehrfach in München praktiziert“, sagt Kopp. „Wir wollen uns die Begebenheiten vor Ort ansehen und schauen, was wir optimieren können.“ Am späten Freitagabend ist es so weit: In den Räumlichkeiten der Rosenheimer Polizeiinspektion trifft sich eine zehnköpfige Gruppe, bestehend aus Vertretern von Polizei und Stadt zur Vorbesprechung.
Prostitution
Im Zuge dessen erkundigt sich die Oberbürgermeisterin nach status quo in Sachen Prostitution – betont aber sogleich, kein Bordell besichtigen zu wollen. „Ich bin nicht dagegen“, sagt Bauer. „Wir haben Bedarf, sonst wären es nicht so viele.“ Ihr gehe es vielmehr um die Wohnungs- und Zwangsprostitution. Erstere sei in etwa gleichbleibend, sagt Kripo-Chef Bernd Hackl. Man sei dabei, ein neues Rotlichtkonzept zu entwickeln und führe in Sachen Zwangsprostitution bereits jetzt regelmäßig sogenannte Rotlichtkontrollen durch. „Wir brauchen allerdings Geschädigte, die auch aussagen.“ Von einer Konzentration der Bordelle, die Bauer in die Runde wirft, hält man von Polizei-Seite nichts. „Das Dezentrale funktioniert in Rosenheim gut“, sagt Harald Pickert, stellvertretender Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd.
Rauschgift
Der Trend von deutlich steigenden Deliktszahlen in Sachen Rauschgift manifestiert sich laut Hackl auch in Rosenheim. Das gelte vor allem für Marihuana, Kokain und Amphetamin. Einen offenen Handel gebe es allerdings nicht. Dennoch wisse man, wo man suchen müsse. „Die entsprechenden Lokalitäten werden wir demnächst mal besuchen“, sagt Hackl.
Inndamm
Nach der gut einstündigen Einsatzbesprechung geht es los. Auf dem Parkplatz der Rosenheimer Inspektion warten zwei zivile T5-Busse. Erste Station: der Inndamm. Dort war, wie berichtet, im November 2015 eine 29-Jährige brutal vergewaltigt worden.
Direkt an der Brücke über die Mangfall kommen die beiden Busse zum Stehen. Der Blick der Oberbürgermeisterin fällt auf die Lampeninstallation auf dem ehemaligen Landesgartenschau-Gelände. „Hier ist nachts viel los“, erklärt der Führer des Abends, Dienstgruppenleiter Sebastian Thurnhuber, während die Gruppe über die Brücke in Richtung Innspitz schlendert. „Da werden viele Partys gefeiert.“
Etwa auf der Hälfte der Brücke ertönen Stimmen, Gelächter und leise Rockmusik Linkerhand vom Innspitz. „Offenbar auch heute“, sagt Thurnhuber. Sobald die Gruppe die Brücke verlassen hat, reißt die Beleuchtung schlagartig ab. Ein Umstand, den auch die sechs Jugendlichen monieren, die es sich neben dem Kunstwerk, den Rasenmähern im Käfig, auf einer Picknick-Decke bequem gemacht haben. „Mehr Licht wäre da echt super“, sagt eine junge Frau. „Ich würde hier nicht alleine lang gehen.“
Salingarten
Nächster Halt: Salingarten. Die beiden T5-Busse halten an der Kufsteiner Straße. Der Park ist am Ost-Ende gut ausgeleuchtet. Die nächste Laterne, rund 100 Meter weiter, verweigert den Dienst, die Bänke zur Rechten und Linken sind zugemüllt: Leere Flaschen und mehrere Dutzend Zigarettenkippen liegen im Umkreis von etwa zwei Metern um die Sitzflächen verstreut.
Das ärgert die Anwohner, sagt ein junger Mann, Anfang Dreißig, der die Oberbürgermeisterin erkennt und sofort anspricht. „Das ist ein Brennpunkt“, sagt der Mann. „Ich gehe hier mit meiner Frau und meinem fünf Monate alten Sohn nicht mehr durch.“ Kein Licht, mangelnde Umgangsformen der Jugendlichen und Glasscherben mitten im Park. Bauer verweist auf das Beleuchtungskonzept der Stadt, das zeitnah umgesetzt werden soll.
Mangfallkanal
Die dritte Station: der Manfallkanal – der zweite Vergewaltigungs-Tatort. Hier, nahe der Kunstmühle, war im vergangenen Sommer eine 21-Jährige das Opfer eines Unbekannten geworden. Schnell zeigt sich, dass der Täter dort ideale Bedingungen vorgefunden haben muss. Als die Gruppe von der Klepperstraße aus den Fuß- und Radweg betritt, geht es vom Licht ins Dunkel. „Lampen alle 30 bis 50 Meter wären schon recht“, sagt der Polizeipräsident. Dass man überhaupt die Hand vor Augen sehen kann, ist an diesem Tag einzig und allein der hellen Nacht zu verdanken. „Dieser Weg sollte beleuchtet sein“, sagt die Oberbürgermeisterin sichtlich verärgert. Das wird er künftig auch sein, versicherte Herbert Hoch, Dezernent für Sicherheit und Ordnung. „Die Lampen sind bestellt.“
Happinger Ausee
Am Ende des Weges warten bereits die beiden T5-Busse für eine letzte kleine Ausfahrt zum Happinger Ausee. Auch dort wird bekanntermaßen vor allem in den Abendstunden gerne gefeiert. Die Anzeichen, dass auch an diesem Abend das ein oder andere Bier im Spiel gewesen sein könnte, verdichten sich schon auf der Fahrt. In Happing ragt ein umgekipptes Fahrrad auf die Straße, einige hundert Meter weiter torkelt ein junger Mann Anfang 20 mit Rucksack auf dem Rücken in Schlangenlinien am Straßenrand entlang.
Die große Party am See ist gegen 0.45 Uhr bereits vorbei –die Spuren sind noch deutlich zu sehen. Die Mülltonnen an der Feuerstelle liegen umgestoßen am Boden, daneben liegen leere Bier und Wodka-Flaschen, auf der menschenleeren Wiese sogar ganze Bierkästen. Vom Kiosk tönt immer wieder das laute Geschrei einiger Betrunkener herüber, und aus dem Wasser sind vereinzelt Stimmen zu vernehmen. „Die sind vor uns geflüchtet“, scherzt der Polizeipräsident. Ein wenig ernster sieht Volker Klarner, Leiter der Rosenheimer Polizeiinspektion die Situation. „Hier werden wir heuer noch einige Probleme bekommen“, prognostiziert er.
Nachtleben
Letzter Nachtordnungspunkt: das Rosenheimer Nachtleben. Vor der „Tonmeisterei“ in der Papinstraße hat sich eine Menschentraube versammelt, zum Rauchen und Ratschen. Beides ist drinnen entweder nicht erlaubt, oder angesichts der dröhnenden Bässe schlichtweg nicht möglich. Eine junge Frau starrt seltsam apathisch mehrere Minuten auf den Boden, ansonsten herrscht friedliche Stimmung. Wirklich laut ist hier niemand. Drinnen bewegen sich die Partygäste zu melodiebefreiten Beats und reagieren größtenteils gar nicht erst auf die Besuchergruppe.
Ein anderes Bild zeichnet sich vor der Tatis Bar in der Ruedorfferstraße ab. Hier ist die Menschentraube draußen durchaus laut. Von drinnen ist immer dann, wenn die Tür aufgeht, Musik zu hören. Vor der Stadtbibliothek werfen sich drei Männer einen Football zu. Wenige Minuten zuvor hatte sich die Oberbürgermeisterin angesichts des zivilisierten Feier-Verhaltens der Rosenheimer noch freudig überrascht gezeigt, dann passiert es. Ohne Fremdeinwirkung kippt vor der Bibliothek ein Mann rückwärts um und schlägt mit dem Hinterkopf am Teerboden auf. Klarner, Kopp und Thurnhuber eilen zu Hilfe, der Kubaner, etwa 50 Jahre alt, ist bewusstlos. Und aufgrund früherer Alkoholexzesse polizeibekannt, wie sich nach Ankunft einer Streife herausstellt. Nach gut 15 Minuten trifft der Rettungsdienst ein. Das unrühmliche Ende eines ansonsten ruhigen Abends: mit Erkenntnissen sowohl für die Stadt, als auch die Polizei.