Rosenheim – „Jedes Werk erzählt seine eigene Geschichte“, findet Dr. Evelyn Frick. Sie stellt in der Tat nicht nur die Kunst am Bau vor, sondern berichtet auch über ihre Entstehung, über die Motivation des Künstlers, seine Arbeitstechniken, seine Materialien. Viele spannende Geschichten sind auf diese Weise schon entstanden – über Bilder, Brunnen, Skulpturen, Reliefs, Wandmalereien – vom 17. Jahrhundert bis heute.
Autorin der ersten 60 Folgen war Dr. Birgit Löffler, Dozentin für Kunstgeschichte an der Hochschule Rosenheim, heute Leiterin des Museums Maximum in Traunreut. Am 18. August 2010 startete sie mit dem ersten Beitrag, der sich dem heiligen Sebastian von Rolf Märkl neben der Städtischen Galerie widmete. 2014 übergab Löffler an Kunsthistorikerin Frick. Ihr erster Beitrag erschien am 30. Dezember 2014. Thema: die zehn Spiegelbilder, Stelen von Rudl Endriß, im Hof der Staatlichen Berufsschule I an der Prinzregentenstraße.
In den vergangenen vier Jahren hat Frick 39 Serienfolgen geschrieben – und nicht nur Kunstfreunde mit ihren Beiträgen begeistert, sondern auch Bürger, die sich ansonsten weniger intensiv mit Kunst beschäftigen, aber ihre Kunstgeschichten gerne lesen. Dass der Funke so oft überspringt, liegt am Erzählstil der OVB-Autorin. Aktuellstes Beispiel: die Geschichte rund um den Brunnen von Toni Stegmayer, der den Platz am Neubau des Landratsamtes ziert. Der Leser erfährt nicht nur, dass der Landkreis hier als Riesenpuzzle dargestellt ist, sondern auch, dass der Künstler im Steinbruch im Bayerischen Wald selber mit anpackte und wie er mühsam Bohrloch für Bohrloch ansetzte, um die Landkreisumrisse aus dem Stein zu stanzen.
Die beste Quelle ist ein lebender Künstler, berichtet Frick. Doch oft muss die Kunsthistorikerin ihre Informationen aus vielen Einzelquellen zusammensammeln. „Das ist ein bisschen wie Detektivarbeit“, berichtet sie. Jemand kennt jemanden, der was weiß und wieder jemanden kennt, der Informationen hat. Weitere wichtige Quellen sind außerdem das Stadtarchiv und der Wissensfundus des Stadtheimatpflegers und Stadtarchivars Karl Mair. Frick recherchiert so lange, bis es keine Informationslücken mehr gibt. Manchmal geht es ganz schnell, manchmal dauert es halt ein wenig und sie benötigt einen langen Atem.
Nur einmal kam die Autorin zu spät – das ärgert sie noch heute. Der Brunnen von Josef Hamberger landete nach dem Abriss der AOK-Verwaltungsschule auf dem Schrottplatz. Gerne hätte sie ihn vorher noch dokumentiert oder geholfen, ihn zu retten. „Den hätte man leicht wegheben können.“ Wenn sich das Stadtbild ändert, schaut Frick, ob auch ein Kunstwerk betroffen ist. Dass es nicht immer zu retten ist, wie beim Bucheckerhaus oder aktuell bei der Bogensiedlung, akzeptiert sie. Umso wichtiger ist die Dokumentation im Rahmen der OVB-Serie, findet sie.
„Ich werte nicht.“
Dr. Evelyn Frick
Dass jetzt schon die 100. Folge ansteht, wundert die Kunsthistorikerin nicht. Denn seit den 50er- und 60er-Jahren ist die Integration von Kunst beim Bau von öffentlichen Gebäuden üblich. Schon nach Kriegsende, als vor allem schnell gebaut werden musste, nahm sich die Stadt Rosenheim die Zeit für Kunst am Bau. Sie wertete so wie bei der Bogensiedlung eine Wohnanlage auf.
Damals war dieser Trend eine gute Einkommensquelle für bildende Künstler. Sie schufen vor allem Fassadengestaltungen – Mosaike, Malereien oder Kratzputztechniken – und Brunnen. Letztere sind noch heute sehr beliebt. „Ein Brunnen gehört in jeden Park und auf jeden öffentlichen Platz“, findet Frick.
Die Fassaden von Ämtern und Behörden änderten sich jedoch mit der Zeit, die großen Putzflächen wichen Glas und Stahl. Seit den 70er-Jahren stellen Skulpturen deshalb den Schwerpunkt bei Kunst am Bau. „Das hat auch einen praktischen Grund, denn eine Skulptur kann man auch woanders hinstellen“, sagt Frick.
Geändert hat sich nach ihren Angaben auch die Auftragsvergabe an die Künstler. Heute werden fast immer Wettbewerbe ausgelobt.
Die Siegerergebnisse sind oft auch Anlass für Debatten. Denn Kunst ist Geschmacksache. „Ich werte deshalb nicht“, sagt Frick. Sie vermittelt Informationen zu Werk und Künstler, Material und Technik, mehr nicht. Deshalb ist der Autorin der OVB-Serie auch nicht zu entlocken, ob sie ein Lieblingsobjekt hat. Aber es gibt eine Folge, die besonders viele Leser berührt hat: Nummer 95 vom 30. Oktober 2017 stellte das „Tor zum Leben“ von Walter B. Still vor – ein Kunstwerk, das im Städtischen Friedhof die Erinnerungsstätte für verstorbene Frühchen symbolisiert. Viele Bürger zeigten sich nach der Veröffentlichung emotional sehr berührt, berichtet Frick.
Dass sich Folge 100 dem Nepomukbrunnen widmen wird, will Frick auch nicht als Bewertung beurteilt sehen. Der Nepomukbrunnen ist nach ihrer Meinung aber das wohl am meisten fotografierte Kunstobjekt der Stadt, beliebtes Motiv auf vielen Postkarten.
Grundsätzlich schaffen es alle Werke in die Serie, welche die Kriterien erfüllen: frei zugänglich für jeden, integriert in öffentliche Gebäude oder Plätze. Die Objekte gehen Frick, die 1957 in Rosenheim geboren wurde und hier am Karolinen-Gymnasium Abitur machte, nicht aus. „Gut so“, sagt sie, „denn die Kunst am Bau gibt der Architektur das Individuelle, ein Gefühl von Heimat.“ Ohne sie wäre manches Gebäude austauschbar. „Der Max-Josefs-Platz ohne Brunnen: Das wäre doch öde.“