Rosenheim – Fünf Stahlbleche, das rechte der Länge nach geknickt, ragen senkrecht empor. Oben berühren sie sich, sind fest aneinandergefügt, mit zwei brückenartigen Teilen verbunden; das gibt der Skulptur bei aller filigranen Feinheit eine gewisse Blockhaftigkeit. Zacken ragen heraus und verweisen mit ihrer Dreiecksgestalt auf das Grundmotiv, den griechischen Buchstaben Delta. Wenn man die Skulptur aufmerksam umschreitet, öffnet und schließt sie sich, wird durchlässig und wieder massiv.
Das kräftige Ultramarinblau, die Farbe des Himmels, des Meeres, des Kosmos‘ und der Transzendenz macht aufmerksam und ist die Lieblingsfarbe von Inge Regnat-Ulner – charakteristisch für ihr Werk. „Das Blau darin, eine freigesetzte kosmische, immaterielle Energie, die all meinen Skulpturen und Objekten des Konkret-Konstruktiven die Schwere des Metalls nimmt, und sie changierend in den Farben strahlen lässt.“
Als nach dreijähriger Bauzeit am 18. September 1989 der neue Gebäudekomplex des Post- und Fernmeldeamtes an der Bahnhofstraße feierlich eröffnet wurde, war noch keine blaue Skulptur zwischen Gehsteig und Fassade an der Luitpoldstraße vorgesehen.
Die Planung der Oberpostdirektion München unter der Federführung von Heinz-Ludwig Sopper, Wolfgang Weinberg, Heinrich Winkler und Friedrich Bauer war durchaus anspruchsvoll. Als städtebaulicher Akzent sollte ein Tor zur Stadt entstehen, die Fassade sollte mit ihren hellen Putzflächen und den zurückgesetzten Fenstern, die an Arkaden erinnern, Elemente des Inn-Salzach-Baustils aufgreifen. Ganz bewusst wurde an die hohe Qualität der bayerischen „Postbauschule“ angeschlossen, deren Architekten in den 1920er-Jahren Maßstäbe gesetzt hatten mit ihren klaren und funktionalen Gebäudegestaltungen. Mit der „Kunst am Bau“ wurde der Münchner Bildhauer Herbert Peters (1925 bis 2006) beauftragt, der die beiden Haupteingänge mit Steinarbeiten gestaltete. Am bekanntesten dürften seine beiden walzenförmigen Sitzbänke vor der Fassade an der Luitpoldstraße sein.
Doch dann regte sich Widerstand im Kunstverein Rosenheim und die Vorsitzende Iris Trübswetter fragte zurecht: Warum hatte es keinen Wettbewerb gegeben? Warum wurden Rosenheimer Künstler nicht berücksichtigt?
Kunstverein schlug Bildhauer vor
Der daraufhin erfolgte Ankauf einiger Gemälde von Mitgliedern des Kunstvereins stimmte diese aber noch nicht milde, wie sich Walter Gigler, damals Amtsvorsteher des Postamtes Rosenheim, erinnert. Daraufhin schlug der Kunstverein der Oberpostdirektion geeignete Bildhauer vor und die Wahl fiel auf Inge Regnat-Ulner.
So erschien am 1. März 1990, in der Nacht hatte der Orkan Wiebke über Deutschland getobt und auch das alte Bauernhaus der Regnats blieb nicht verschont, Heinrich Winkler in Zaisberg und machte sich mit dem Werk der Künstlerin vertraut. Die Wahl fiel auf eine Skulptur aus dem Motivkreis „Delta“. Inge Regnat-Ulner beschrieb die für diesen Auftrag neu konzipierte Arbeit damals so: „Delta III ist ein dreidimensionales Raum-Relief aus meinem Delta-Zyklus. Zwei aus der Fläche abgewinkelte Relief-Elemente korrespondieren miteinander in variierter Weise. Aus der Mitte heraus verbindet und ergänzt, als transparentes Formenecho, ein drittes Element diese beiden und lässt so eine zu umgehende Rundplastik entstehen. In die Grünfläche gestellt, wie es im Architekturmodell gezeigt wird, könnte dieses Raum-Relief, in blau lackiertem Stahl, eine sehr anziehende Signalwirkung an dieser Stelle haben.“
Am Beginn stand, wie bei allen Großskulpturen der Bildhauerin, ein blauer Karton. Mit Schere und Kleber entwickelte Inge Regnat-Ulner spielerisch die Form als kleines Modell im Maßstab 1:10. Die Einzelteile übertrug sie dann auf DIN-A4-Blätter. Auf dieser Grundlage schnitt die Schlosserei Oppacher in Zaisering computergestützt mit einem Plasmaschneider die gewünschten Stahlblechteile in der dann tatsächlichen Größe aus. Die Teile wurden zusammengeschweißt und die Nähte fein säuberlich geschliffen, was die Bildhauerin der Akkuratesse wegen gerne selbst macht. Überhaupt überwachte sie den gesamten Produktionsprozess, bis hin zum Finishing in der Rosenheimer Lackiererei Diebald. Hier wurde die Skulptur noch sandgestrahlt, spritzverzinkt, grundiert und mit der Farbe RAL 5002 brennlackiert. Ein aufwendiger Herstellungsprozess, der der Skulptur ihr unverwechselbares Erscheinungsbild und ihre Wetterbeständigkeit gab.
Dazu erläutert Inge Regnat-Ulner: „Ich bin ja eine Vertreterin des Konstruktivismus und da wirken Kunstwerke nur, wenn sie absolut perfekt sind. Jede zu dicke Schweißnaht, jede Ungenauigkeit würde da sehr stören. Deshalb ärgert es mich auch, wenn Banausen irgendwelche Aufkleber auf meine Skulpturen geben.“ Im November 1990 konnte „Delta III“ dann an der Südfront des Postgebäudes aufgestellt werden.
Seit den 1980er-Jahren hatte Inge Regnat-Ulner Wand-Reliefs gestaltet, die sie dann schrittweise zu Raum-Reliefs weiterentwickelte. Ausgangspunkt, und damit typisch für den Konstruktivismus, den zu Beginn des 20. Jahrhunderts Künstler wie Kasimir Malewitsch oder Piet Mondrian konzipierten, sind geometrische Formen wie Kreis, Quadrat und Dreieck.
Da boten sich die griechischen Buchstaben, die klare geometrische Linien aufweisen und neben ihrem Lautwert auch Bedeutungsträger sind, als Thema an. Das Delta steht für Inge Regnat-Ulner nicht nur für Dreieck, sondern auch für Dach, Zelt und Haus. „Delta III ist in einer Zeit entstanden, in der ich mich mit dem Alphabet als solchem, im Speziellen aber mit dem Zyklus griechischer Buchstaben beschäftigt habe, und entsprechend ihren Formen, in freier Wahl, ihnen konstruktive Gestalt gab.“
2013 kaufte die Aicher-Wurm Grundbesitz KG dann das gesamte Areal und lobte im vergangenen Jahr außerdem einen Wettbewerb zur Neugestaltung aus, den das Rosenheimer Architekturbüro Krug Grossmann gewann. Bleibt zu hoffen, dass „Delta III“ die baulichen Umgestaltungen gut übersteht und weiterhin einen repräsentativen Standpunkt haben wird.