Rosenheim – Am frühen Abend des 3. September 2016 wollten drei Österreicher aus Kundl nach einem zünftigen Herbstfestbesuch wieder nach Hause. Der Geschädigte (25) berichtete als Nebenkläger, dass er stark angetrunken gewesen sei und deshalb mit dem Fahrer eines Taxis wegen des Fahrpreises zum Bahnhof diskutiert hatte. „Ich denke, ich hab wohl was Blödes zu ihm gesagt. Dann ist er losgefahren. Weil sich beide Türen nun geschlossen haben, hab ich mir denkt: Scheiße, jetzt musst laufen.“
Sein Unglück war, dass einer seiner Spezln auch die hintere Tür des Wagens geöffnet hatte und er sich, weil betrunken, dort auf den Wagen gestützt hatte. Als sich die Autotüren schlossen, klemmten sie die linke Hand des Tirolers mitsamt kleinem Finger ein. Zunächst lief der Mann mit, stürzte dann aber auf die Straße, wobei ihm der kleine Finger abgerissen wurde. Der Verletzte wurde von Passanten und den Rettungssanitätern der Wiesnwache erstversorgt und zum Rosenheimer Klinikum gebracht.
Der angeklagte Taxi-Fahrer (43) sagte aus, das Verhalten des Österreichers habe ihn derart verunsichert, dass er ihn nicht transportieren wollte und deshalb losgefahren sei. Weil er depressive Neigungen und Angstgefühle habe, sei er zunächst nach Hause und habe seine Johanniskraut-Tabletten eingenommen. Danach fuhr er wieder zu einem Taxistand, möglichst weit weg von der Wiesn, in der Klepperstraße. Dort fand ihn später die Polizei – und auch den kleinen Finger, der noch in der hinteren rechten Tür klemmte. Weil inzwischen zu viel Zeit vergangen war, konnte der Finger nicht mehr angenäht werden. Vielmehr mussten dem Tiroler die Fingerreste an der linken Hand amputiert werden.
Der 25-jährige Postbote nahm vor Gericht sein Handicap relativ gelassen: „Zunächst hab ich damit schon Schwierigkeiten gehabt. Aber inzwischen hab ich gelernt, damit umzugehen.“
Die Vorsitzende Richterin Simone Luger fragte den Angeklagten, ob er sich denn bei dem Opfer wenigstens entschuldigt habe. „Ja, draußen vorhin auf dem Gang“, so die zögerliche Antwort. Ob er denn sein Opfer nicht habe schreien hören, fragte sie weiter. Er habe wohl Schreien gehört, habe das aber für ein Schimpfen von Betrunkenen gehalten.
Keine
Fahrlässigkeit
Nach einem Rechtsgespräch der Verfahrensbeteiligten erklärte die Richterin, dass mit diesem Tatverhalten das Gericht nicht von Fahrlässigkeit ausgehen könne. Der Angeklagte habe selber erklärt, dass er Rufen und Schaben am Fahrzeug wahrgenommen hätte. Deshalb hätte er in jedem Fall anhalten müssen. Er habe sogar im Rückspiegel die Ansammlung wegen des Verletzten wahrgenommen, deshalb handle es sich in jedem Fall auch um Unfallflucht.
Der Angeklagte berichtete, er sei gelernter Bürokaufmann, wolle aber diesen Beruf keinesfalls mehr ausüben. Deshalb sei er Taxifahrer geworden. Nun müsse er sich wohl einen neuen Beruf suchen.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte in seinem Schlussvortrag, dass sich die Anklage inhaltlich voll bestätigt habe. Der Angeklagte habe – warum auch immer – billigend in Kauf genommen, dass sich der Tiroler Verletzungen zuziehen würde. Er sei deshalb zu einer Haftstrafe von 16 Monaten zu verurteilen. Weil er bislang völlig unbescholten sei, könne die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.
Der Nebenklägervertreter verwies darauf, dass ein Taxifahrer angetrunkene Fahrgäste aushalten muss. Es habe auch keinen echten Grund gegeben, diese Fahrgäste abzulehnen. Auch hätte der Finger seines Mandanten gerettet werden können, wenn sich der Angeklagte nicht feige davon gemacht hätte.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Christian Schluttenhofer führte an, dass von einer dramatischen Beschleunigung beim Wegfahren seines Mandanten keine Rede sein könne. Ansonsten hätte der Nebenkläger keinesfalls 20 oder gar 40 Meter mitlaufen können. Bei der Strafzumessung sei zu berücksichtigen, dass sein Mandant nicht nur umfassend geständig sei, sondern auch den Führerschein und damit seine berufliche Existenz verloren habe. Er sei also schon erheblich bestraft worden.
Das Gericht fand eine Haftstrafe von 15 Monaten für tat- und schuldangemessen, die es auch zur Bewährung aussetzte. Ein Wiederholungsfall ist unter diesen Umständen fraglos ausgeschlossen. Darüber hinaus wird ihm der Führerschein für weitere 15 Monate entzogen und ein Schmerzensgeld von 800 Euro hat er ebenfalls zu bezahlen.