Fahrrad-Taxis beim Herbstfest

„Wadlkraft“ für die Wiesn

von Redaktion

Einfach nur in die Pedale treten und losfahren. Das sagt sich so leicht. Für einen Rikscha-Fahrer ist genau das eine echte Herausforderung mit bis zu 350 Kilo im Gepäck. Johann Struck (32) und Thomas Schiedeck (53) kutschieren Wiesn-Besucher mit ihrem Rikscha-Taxi derzeit von A nach B. Für sie ist die Fahrt eine bittersüße Angelegenheit.

Rosenheim – Sie wirken wie zwei alte Freunde: Thomas Schiedeck aus München und Johann Struck aus Rosenheim. Gerne hört man den zwei bärtigen Männern bei einem Gespräch über vergangene Rikscha-Fahrten zu. Viel zu erzählen, haben sich die Kollegen allemal: Kuriositäten erleben sie immer wieder während ihres Einsatzes zur Herbstfestzeit.

Zum Chauffeur gehört auch der Prosecco

Gerne erinnert sich Schiedeck zum Beispiel an ein verliebtes Paar. „Denen sollte ich erst einen Prosecco besorgen. Später habe ich ihnen sogar geholfen, ein Hotelzimmer zu finden“, beginnt er aus dem Nähkästchen zu plaudern. Struck stimmt ein. Ihm liegt besonders eine ältere Dame am Herzen: „Sie nimmt gerne jedes Jahr in meiner Rikscha Platz, um von dort aus einen guten Überblick über das Gelände zu erhalten.“

Gefragt sind beim Taxifahren mit dem Fahrrad vor allem Kurzstrecken: „Es gibt Kunden, die vom Wiesn-Eingang zum Hofbräukomplex um die Ecke gebracht werden wollen.“ Konkurrenz zu Auto-Taxis sind die Rikschas daher nicht, schließlich sind kurze Touren bei Taxifahrern eher unbeliebt.

Apropos Autos: Einen bleibenden Eindruck hat auch eine kuriose Suchaktion bei Thomas Schiedeck hinterlassen. „Erinnerst du dich an das Pärchen, das sein Auto nicht mehr gefunden hat?“, fragt er seinen jüngeren Kollegen. „Ich glaube, das war vor meiner Zeit“, entgegnet der 32-jährige Struck lachend. „Denen habe ich bei ihrer Suche geholfen. Sie waren total verzweifelt.“ Irgendwann kam der 53-jährige Rikscha-Fahrer dann auf die Idee, dass das Auto vielleicht abgeschleppt sein könnte. „Ich hielt die Polizei an und fragte, ob sie uns helfen würde, genau das herauszufinden.“ Und tatsächlich: Die Suche war zwecklos, der Pkw längst entfernt.

Johann Struck fährt inzwischen seit drei Jahren Rikscha auf dem Herbstfest, Thomas Schiedeck bereits seit elf. Als Fahrradkurier – bekannt unter dem Namen Postl-Johann – kam Struck zum Fahrrad-Taxi. Die Rikscha leiht er für die Herbstfestzeit aus, heuer bei Thomas Schiedeck. Der fährt normalerweise in München Dreirad-Taxi und gehört dem Rikscha-Verbund „Wadlkraft“ an. „Ich habe in Berlin einmal eine Stadtrundfahrt als Kunde mit einer Rikscha unternommen. Das hat mir so gut gefallen, dass ich dabei geblieben bin.“ Der 53-Jährige kutschiert Wiesn-Besucher auch während des Oktoberfests. Nach Rosenheim kam er durch verwandtschaftliche Beziehungen.

Die Männer verbindet mehr als nur die Liebe zum Strampeln – beide schätzen auch Bücher. Schiedeck ist selbstständiger Buchbinder. Struck betreibt den Laden Bücher Johann in der Kaiserstraße. Seine Ware liefert der 32-Jährige als Fahrradkurier meist selbst aus.

Doch so sehr die Zwei das Rikscha-Fahren auch mögen: Anstrengend sind die 16 Tage Wiesn natürlich für sie. „Das ist wie eine Hassliebe“; versucht Struck, es in Worte zu fassen. „Wenn du nicht fährst, dann denkst du dir: Was ist das eigentlich für ein blöder Job. Es ist kalt. Es regnet. Es ist total anstrengend. Dann, wenn du dich zur nächsten Fahrt fertiggemacht hast, freust du dich plötzlich wieder darauf und weißt, dass dir die kommenden Stunden eine Menge Spaß bereiten werden.“ Eine bittersüße Angelegenheit, „diese Worte treffen es vielleicht ganz gut.“

Wann die beiden ihre Fahrten starten, ist unterschiedlich. Mal gegen Mittag, mal erst zum späteren Nachmittag. „Ab 22 Uhr beginnt das eigentliche Geschäft.“ Eine Fahrt vom Bahnhof zur Wiesn ist billiger als umgekehrt. Ersteres kostet zwölf Euro, letzteres 15“, erklärt Struck. Das Angebot würde eben von der Nachfrage bestimmt, fügt der studierte Betriebswirt hinzu. Zu Hochzeiten fahren die Männer bis 7 Uhr morgens.

500 bis 800 Kilometer während der Wiesn

Die beiden schätzen, dass sie zur Wiesnzeit zwischen 500 und 800 Kilometern strampeln. Am härtesten, da sind sie sich einig, „ist das Anfahren.“ Bis zu 350 Kilo setzen die gestandenen Männer dann abrupt in Bewegung. „Außerdem versucht man, das Anhalten an roten Ampeln zu vermeiden. Oft hat man schon im Gefühl, wie schnell man fahren kann, um eine grüne Welle zu erwischen.“

Wenn die zwei auf Schwellen zu sprechen kommen, beginnen sie zu stöhnen. „Die kommen einem plötzlich wie ein unüberwindbarer Berg vor.“ Im kommenden Jahr wollen die Männer wieder Fahrradtaxi spielen. „Nur werden wir dann mit Elektro-Motor fahren“, freuen sie sich schon jetzt.

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