Die Telefonseelsorge macht zum ersten Mal mit einer „Blogparade“ auf den Weltsuizidtag aufmerksam. Welchen Stellenwert haben die neuen Medien bei der Telefonseelsorge, die ja auch eine Mail- und sogar eine Chatberatung anbietet?
Das Telefon ist nach wie vor in unserer Rosenheimer Telefonseelsorge das wichtigste Kommunikationsmittel und steht an erster Stelle. Doch inzwischen ist der Bereich Beratung im Internet stark angewachsen. Die Zahlen und die ständige Nachfrage belegen dies. Im Jahr 2016 hatten wir in der Telefonseelsorge Rosenheim 476 Ratsuchende, die 3201 Mails schrieben. In diesem Jahr nähern wir uns schon jetzt dieser Vorjahreszahl. Wir sind allerdings auch inzwischen zwölf Berater in der Mailberatung, was zeigt, dass auch für meine ehrenamtlich Mitarbeitenden dieser Beratungsbereich äußerst attraktiv ist. Schaut man sich die Zielgruppen innerhalb der Internet-Beratungen an, so haben wir es in der Mail-Beratung an erster Stelle mit der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen zu tun, darauf folgen die 15- bis 19-Jährigen und an dritter Stelle die 30- bis 39-Jährigen.
Wer zum Telefonhörer greift, wenn er Hilfe benötigt, befindet sich vermutlich in einer akuten Krise. Warum suchen Menschen per Mail den Kontakt und was erwarten sie?
Die Themen in der Mailberatung sind oft ähnlich wie die Themen am Telefon. Die Ratsuchenden quälen Ängste, depressive Stimmungen, die Einsamkeit, partnerschaftliche und familiäre Probleme und nicht zuletzt die Gedanken an einen Suizid. Jeden Tag haben wir mindestens einen Menschen am Telefon, der das Thema Suizid in irgendeiner Weise anspricht. In den Mails sind es noch mehr. Die Suche nach Unterstützung im Internet entspricht der jungen Generation. Es geht dort anonymer, zum Teil schneller zu. Man kann Mails schreiben, wann man will und trotzdem besteht zugleich der Wunsch nach längerer Begleitung und Hilfestellung. Dort treffen die Hilfesuchenden – wie auch am Telefon – auf sehr empathische und ausgebildete Menschen.
Per Mail kann sicherlich auch ein längerer Kontakt aufgebaut werden. Doch eine Therapie kann eine solche Beratung ja nicht ersetzen?
Nein, wir als Telefonseelsorge bieten keine Therapie an, auch nicht in der Mailberatung. Diese soll auch begrenzt bleiben, weil wir der Meinung sind, dass Menschen nach einer gewissen Zeit wieder selbst ihr Leben in die Hand nehmen sollten. Leider schaffen dies viele nicht. Dann raten wir zu einer längerfristigen Therapie, die von Fachleuten angeboten wird. Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge sind Laien mit einer guten Ausbildung und arbeiten ehrenamtlich.
Sie suchen wieder neue Mitarbeiter, für die im Januar eine Ausbildung beginnt. Welche Eigenschaften sollte ein Interessent mitbringen?
Interessierte sollten offen sein für sehr unterschiedliche Menschen und Themen. Humor ist hilfreich, Empathie und Spaß am Beratungssetting. Auch die Zeit ist ein wichtiger Faktor, die die Ehrenamtlichen hier in der Telefonseelsorge anderen Menschen schenken. Die neue Ausbildung startet im Januar 2018. Interessenten melden sich unter 08031/3529590.
Der Weltsuizidtag will für das Thema Suizid sensibilisieren. Was sind nach Ihren Erfahrungen heute die häufigsten Gründe, warum Menschen keinen Lebenswillen mehr haben? Oftmals treffen mehrere Themen und Probleme aufeinander: Schwere Krankheit, Verlust der Arbeit, finanzielle Probleme, fehlender Familienzusammenhalt oder fehlender Freundeskreis führen oftmals in die Aussichtslosigkeit. Die Hilfesuchenden sind dann nur noch mit ihren Problemen beschäftigt und dadurch wird der Blick auf die Welt, auf mögliche Lösungs- und Auswege zu sehr verengt.
Wie kann die Telefonseelsorge in solch schweren Krisen helfen?
Die Telefonseelsorge ist immer da – 24 Stunden sieben Tage in der Woche, rund um die Uhr, das ganze Jahr am Telefon, per Mail und Chat. Die Hilfe besteht also primär darin, dass wir immer erreichbar sind in der Krise, die kommt, wann sie will. Menschen können sich immer an uns wenden und stoßen dort auf Menschen, die ein offenes Ohr haben, die kompetent begleiten und beraten. Die menschliche Zuwendung ist oft das Geheimnis, warum die Hilfesuchenden von ihren Gedanken an Suizid ablassen und auch etwas Licht am Ende des Tunnels wiedererkennen.
Interview: Heike Duczek