Rosenheim – Etwas versteckt zwischen Hecken kann man auf einer Rasenfläche im Rosenheimer Friedhof eine Stahlskulptur entdecken, die als großes Tor, aber mit feststehenden Flügeln, gestaltet ist. Entworfen und gebaut hat das Erinnerungsmal der Metallgestalter Walter B. Still; der gebürtige Rosenheimer nennt sein Werk „Der Tod ist das Tor zum Leben“.
Dieses geschwungene Stahl-Tor markiert das Gräberfeld, auf dem Kinder bestattet werden, die nicht den Weg ins Leben geschafft haben. Ohne Lebenszeichen und mit einem Gewicht von unter 500 Gramm geboren, zählten die winzigen Körper lange nicht als Person und durften nicht offiziell beerdigt werden.
Dass es dieses Gräberfeld überhaupt gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Es waren zwei engagierte Frauen, die in ihrer täglichen Arbeit im Romed-Klinikum Rosenheim den Schmerz und die Trauer von Eltern erlebten, deren Kinder viel zu früh verstorben waren: die Oberärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Christine Waldhör und die Kinderkrankenschwester Gabriele Besig-Lambert.
Bis zur Initiative der beiden wurden diese winzigen Toten irgendwo auf dem Rosenheimer Friedhof nicht öffentlich und anonym bestattet. „Immer wieder gab es erschütternde Szenen, wenn Eltern über den Friedhof irrten und verzweifelt nach der Grabstelle ihres Kindes suchten“, berichtet die Ärztin. Da alle Betroffenen die Situation inakzeptabel fanden, nahmen Christine Waldhör und Gabriele Besig-Lambert Kontakt auf mit den Verwaltungen von Klinikum und Friedhof und fanden bei Christian Mauritz und Georgine Koch schnell Verständnis.
Ort der Trauer und auch der Hoffnung
Zwanglos ergab sich der Kontakt zu Walter B. Still, der seit 1978 im Klinikum Rosenheim als Krankenpfleger arbeitete. Wer wem den Vorschlag machte, daran kann sich heute keiner mehr erinnern. Doch schnell stand fest: „Wir brauchen einen entsprechenden Platz auf dem Rosenheimer Friedhof und Walter B. Still wird dafür ein würdiges Mal schaffen.“
Rosenheim hatte hier durchaus eine Vorreiterrolle und manche Lokalpolitiker standen damals dem Vorhaben skeptisch gegenüber. Schon am 21. Dezember 2001 konnte jedoch im Beisein von Oberbürgermeister Dr. Michael Stöcker sowie Vertretern der katholischen, altkatholischen und evangelischen Kirchen sowie eines Imams die neue Anlage eingeweiht werden.
Nun haben die Eltern einen Ort der Trauer, aber auch der Hoffnung. Das Tor greift in seinem Symbolgehalt gegensätzliche Aspekte des Lebens auf. Der linke Flügel aus rostfreiem Stahl wirkt hell, glänzend und leicht. Er steht im Osten und signalisiert damit Sonnenaufgang, Leben und Werden. Dunkel und schwer dagegen mutet der rechte Flügel aus gerostetem Stahl im Westen an. Hier assoziiert man Sonnenuntergang, Tod und Vergehen. Eine große Wellenbewegung durchzieht die beiden Torflügel und verweist auf den Fortgang des Seins. Die beiden Flügel lassen eine Lücke offen, die zum Hindurchgehen einlädt. Negative Gefühle sollen sich hier abstreifen lassen. Sinnfälliger lässt sich der Tod als Tor zum Leben kaum darstellen.
Alle drei bis vier Monate wird seither an diesem Gräberfeld eine Gedenkfeier für die in diesem Zeitraum verstorbenen und hier bestatteten Kinder abgehalten. Ein entsprechender Flyer informiert die Eltern darüber. „Jeder geht mit etwas Schönem und Heilsamem im Herzen nach Hause“, erläutert Gabriele Besig-Lambert, die auch als ausgebildete Trauerbegleiterin tätig ist.
Wer das kleine Gräberfeld mit seinem „Tor zum Leben“ besuchen möchte, der gehe von der Friedhofsverwaltung, die sich auf der Rückseite der Aussegnungshalle befindet, den Weg in Richtung Kriegergedächtnisstätte. An der Gabelung nach links; hinter der großen Baumgruppe linker Hand erscheint das Tor zwischen den kleinen Blumenrabatten mit den zahlreichen Engelsfiguren.