Rosenheim/Siegsdorf – Das Coronavirus rückt näher: War es erst noch sehr weit weg in China, dann die ersten Verdachtsfälle in Europa, Anfang der Woche Starnberg – und seit Donnerstagabend Siegsdorf, im Nachbarlandkreis Traunstein, knapp 50 Kilometer und eine halbe Stunde Autofahrt von Rosenheim entfernt.
Betroffen: ein weiterer Mitarbeiter der Firma Webasto (Stockdorf, Landkreis Starnberg) und dessen Familie – drei Kinder, davon ein Säugling mit einem halben Jahr und zwei Kinder unter fünf Jahren. Sie leben mitten in dem 8000-Einwohner-Ort, in einem Mehrparteienhaus. Das älteste Kind (5), nach dem Vater der bayernweit inzwischen sechste Fall einer Coronavirusinfektion, besucht zudem den Kindergarten. Ein weiterer kritischer Punkt, den es nun von Behördenseite zu beleuchten gilt.
Details gab das Gesundheitsamt Traunstein gestern Nachmittag bekannt. Der Vater, so schilderte es Dr. Wolfgang Krämer, der Leiter des Gesundheitsamtes Traunstein, habe Kontakt zu einem der bereits infizierten Webasto-Kollegen gehabt, die derzeit im Schwabinger Krankenhaus (München) untergebracht sind. Als bei ihm grippeähnliche Symptome auftraten (Mittwoch), habe er sich mit den Behörden in Verbindung gesetzt. Donnerstag hätten die Untersuchungsergebnisse bestätigt: ein weiterer Fall des Coronavirus. Mit im Blickfeld: seine Familie, bei der ebenfalls Anzeichen von Grippe aufgetreten sind.
Was folgte: Zwei Rettungswagen des BRK fuhren spätabends an dem Wohnhaus vor, Sanitäter in weißen Schutzanzügen und Mundschutz holten Koffer und Gepäck aus der Wohnung – und brachten die gesamte Familie in einer Nacht- und Nebelaktion ins Krankenhaus Trostberg. Die Mutter mit Taschen und dem Säugling im Maxicosi bestückt, der Vater flankiert von den beiden Kleinkindern, links und rechts fest an der Hand.
Vater hatte Kontakt zu Webasto-Kollegen
Die Fahrt: Sie ging ins Krankenhaus Trostberg, wo es eine entsprechende Quarantäneeinrichtung gibt. Dort ist die Familie in einem Zimmer, völlig isoliert, untergebracht – „auf eigenen Wunsch, sie haben ja auch zu Hause unter einem Dach gelebt“, so Dr. Krämer.
Der Gesundheitszustand: Er veranlasst die Mediziner nicht zur Sorge. Der Krankheitsverlauf sei sowohl beim Vater wie auch beim infizierten Kind vergleichsweise milde. Der Gesundheitszustand an sich würde keinen Krankenhausaufenthalt erfordern, unterstrich Professor Dr. Thomas Glück, Leiter der Inneren Abteilung der Klinik Trostberg. Die Isolation sei lediglich erforderlich, um die Infektionskette zu minimieren – denn hier sei die Familie voll versorgt. „Beispielsweise muss niemand raus, um einkaufen zu gehen.“
Obwohl es bis dato nur zwei bestätigte Fälle gibt, gehen Mediziner und Gesundheitsamt davon aus, dass sich die gesamte Familie infiziert haben dürfte. Entsprechende Nachtests liefen.
Wie lange die Familie in Quarantäne ausharren muss, ist noch unklar. Bislang liegen nach den Worten von Dr. Martin Hoch, Mitglied der Task Force Infektiologie am Bayerischen Landesamt für Gesundheit (LGL), angesichts des neuartigen Virus‘ noch keine ausreichenden Erkenntnisse zur Dauer der Infektiösität (Ansteckungsgefahr) vor. „Wir rechnen dazu aber in Kürze mit Ergebnissen und werden dann ein einheitliches Vorgehen entwickeln.“
Auf Hochtouren laufen in Siegsdorf und Umgebung zudem die Ermittlungen in Bezug auf die Kontaktpersonen. Doch so viel Entwarnung konnte Gesundheitsamts-Chef Krämer schon geben: Für eine Infektion ist ein direkter Kontakt notwendig – „das Vorbeigehen auf der Straße allein reicht für eine Übertragung nicht aus.“ Mitarbeiter des Gesundheitsamtes überprüfen nun, mit wem die Familie zuletzt in direktem Kontakt stand. Dabei im Blick: der Kindergarten des infizierten Kindes. Diesbezüglich müsste allerdings noch der Krankheitsausbruch errechnet werden. Man wisse vom letzten Kita-Besuch, der sei symptomfrei gewesen. Sollte die Kita betroffen sein, werde man über die Einrichtung auf die Eltern zugehen.
Siegsdorfs Bürgermeister Thomas Kamm zeigte sich gestern unaufgeregt. Sein Rat: nicht überreagieren und nicht in Panik verfallen.
Peter Volk, Sprecher des Kreisfeuerwehrverbands Traunstein, berichtet von einem reibungslosen Infektionseinsatz.
Klinikum Rosenheim
gut gerüstet
Im Raum Rosenheim gibt man sich weiter gut gerüstet: Im Klinikum Rosenheim hält man sich mit Updates vom Robert-Koch-Institut auf dem Laufenden. Verdachtsfälle gab es Kliniksprecherin Elisabeth Siebeneicher zufolge bis dato keine. Die Notaufnahme des Klinikums sei zwar stark frequentiert – allerdings handle es sich vielfach um klassische Influenza-Fälle.
In den Apotheken im Raum Rosenheim ist indes eine gewisse Nervosität zu verspüren, bestätigt Apotheker Thomas Riedrich (Optymed-Apotheken). „Die Nachfrage nach Atemschutzmasken ist da, wir sind aber bei Weitem nicht ausverkauft.“ Besorgte Nachfragen in Sachen Coronavirus seien an der Tagesordnung. „Wir versuchen aber, zu beruhigen. Ein normales Grippevirus ist meiner Ansicht nach um ein Vielfaches gefährlicher.“
Vorsicht walten lassen die Unternehmen in der Region bei Kontakten nach China. Wie Schattdecor in Rohrdorf (wir berichteten) hat auch „Carl Zeiss Optotechnik“ mit Sitz in Neubeuern die Fürsorge um die Mitarbeiter im Blick. Reisen nach China sollten möglichst unterlassen oder verschoben werden, so Sprecher Jörg Nitschke. Das betrifft auch Zeiss-Mitarbeiter Hubert Lechner (Stephanskirchen), der seine elfte China-Reise verschieben musste.