Rosenheim/Aschau – Die Ermittler haben nichts unversucht gelassen, um den tragischen Unfalltod von Veronika (23) aufzuklären: Fast ein Jahr lang befassten sich Staatsanwaltschaft, Kripo, Rechtsmediziner, Gutachter und Sachverständige mit der Tragödie von Aschau. Nun sind alle Gutachten ausgewertet, die Ermittlungen abgeschlossen. Das Ergebnis: Das Verfahren gegen die drei Beschuldigten – ein VW-Golf-Fahrer (27) und seine zwei Mitfahrer (22 und 23) – wurde eingestellt.
Die Begründung: „Ein strafrechtliches relevantes Verhalten lässt sich den Beschuldigten nicht nachweisen“, erklärte Oberstaatsanwalt Gunther Scharbert am Donnerstag auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen. Damit kommt der Fall nun zu den Akten.
Die 23-Jährige lag
bereits auf der Straße
Die Einstellung des Strafverfahrens stützt sich auf vier wesentliche Erkenntnisse, zu denen Rosenheimer Kripo-Fahnder, Münchner Rechtsmediziner und mehrere Sachverständige in ihren unfallanalytisch-biomechanischen Gutachten gekommen sind:
• Der Tod der jungen Frau ist nicht zweifelsfrei auf die Kollision mit dem Auto zurückzuführen – auch wenn die Gutachten belegen, dass die 23-Jährige von dem VW Golf erfasst wurde.
• Als der Wagen das Unfallopfer erfasste, lag es – vermutlich nach einem selbst verschuldeten Sturz – bereits auf der Straße. Jedenfalls schließen die Gutachter einen Zusammenstoß mit einer aufrecht gehenden oder stehenden Person aus.
• Damit kann man auch nicht mehr zweifelsfrei davon ausgehen, dass der Unfall „vorhersehbar oder vermeidbar“ war, so Scharbert. Zumal es in der Unfallnacht stark schneite. Möglicherweise hat der Fahrer die am Boden liegende Frau also wirklich nicht gesehen.
• Und wenn dies so sein sollte, kann man dem 23-Jährigen und seinen Mitfahrern auch keine Fahrerflucht oder unterlassene Hilfeleistung anlasten. Die Kollision muss zwar zu einem hörbaren Geräusch und zu einer spürbaren Erschütterung geführt haben. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass die drei Insassen dachten, es könne sich um einen Eisklumpen oder Schneebrocken gehandelt haben.
So werden die genauen Umstände des tragischen Todes der jungen Frau wohl für immer ein Rätsel bleiben. Hat sich Veronika die tödlichen Verletzungen bei einem Sturz zugezogen? Kam sie bei einem Autounfall ums Leben? Oder war beides in der Summe tödlich? Diese Fragen können Sachverständige selbst nach Auswertung aller Details mit modernsten Methoden nicht beantworten.
Fest steht nur, dass zwischen Sturz und Unfall eine sehr kurze Zeitspanne gelegen haben muss. Veronika war nicht allein, als es am 6. Januar 2019 gegen 3.45 Uhr zwischen Hohen- und Nie- deraschau zu dem Unfall kam. Nach einem langen Abend in der Diskothek „Eiskeller“ in Aschau ging sie im dichten Schneetreiben zu Fuß in Begleitung eines jungen Mannes nach Hause – sie am rechten Straßenrand, er auf dem Gehweg, etwa zwei Meter rechts von ihr.
Dort, auf der anderen Seite des Grünstreifens zwischen Fußweg und Fahrbahn, türmte sich der Schnee. Vermutlich zog Veronika die besser geräumte Straße vor, um im Tiefschnee keine nassen Füße zu bekommen. Möglicherweise kam sie zu Sturz, als sie über den Schneeberg zurück auf den Fußweg wollte.
Begleiter bemerkte
den Sturz nicht
Leider hatte ihr Begleiter dies nicht bemerkt. Mehrmals wurde er von der Polizei befragt, doch den Ermittlern konnte er kaum weiterhelfen. Der Wagen kam von hinten, alles ging sehr schnell, es war stockfinster. Auch zum Unfallauto, das einfach weiterfuhr, konnte er wenig sagen: keine Farbe, kein Typ, schon gar kein Kennzeichen.
Doch am Unfallort fanden die Ermittler ein Kunststoff-Ziergitter, das von einem weißen Golf stammte – und schnell zum Fahrer führte. Schon einen Tag später verhaftete die Polizei den Unfallfahrer, einen 27-jährigen Aschauer.
Seine Mitfahrerin (23) hatte sich selbst bei der Polizei gemeldet. Der Golf mit Traunsteiner Kennzeichen, den der 27-Jährige gesteuert hatte, war der Wagen ihres Vaters. Ein 22-jähriger Mann war der dritte Insasse im Auto. Das Trio kam ebenfalls von der Disco. Sie hatten Veronika gekannt, Fahrer und Opfer waren sogar Arbeitskollegen. Doch alle drei gaben übereinstimmend an, von einem Unfall nichts bemerkt zu haben.
Dennoch kam der Fahrer zunächst in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft und Ermittler der Einsatzgruppe „Schneefall“ warfen dem 27-Jährigen „fahrlässige Tötung und versuchten Mord durch Unterlassen in Verbindung mit Verkehrsunfallflucht“ vor. Bei seinen zwei Mitfahrern stand „unterlassene Hilfeleistung“ im Raum. Veronika war in der Unfallnacht erst im Klinikum Vogtareuth ihren lebensgefährlichen Verletzungen erlegen.
Auch wenn der 27-Jährige nach wenigen Tagen wieder freigelassen wurde, hieß das zunächst lange nicht, dass er damit aus dem Schneider war. Aufwendige Gutachten wurden erstellt, DNA-, Mikro- und Faserspuren gesichert und an Speziallabore geschickt – teilweise sogar ins Ausland.
So steht heute zweifelsfrei fest, dass die 23-Jährige tatsächlich von dem VW Golf erfasst wurde. Doch ein Fehlverhalten im strafrechtlichen Sinn war den drei Beschuldigten im Wagen nach der Auswertung aller Untersuchungsergebnisse nicht nachzuweisen.
Vieles verliert sich
im Konjunktiv
„Die menschliche Tragik des Falles ist uns Ermittlern sehr nah gegangen“, betont Scharbert. „Wir haben alles unternommen und sehr umfangreiche Ermittlungen in alle Richtungen geführt.“ Am Ende hätten die Ergebnisse aber zu einer klaren Entscheidung geführt: in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten.
Dass der Wagen einen am Boden liegenden Menschen touchiert oder erfasst hat und sie dies bemerkt haben oder zumindest für möglich halten mussten – das könne man den Insassen nicht nachweisen. Zumal sich auch weitere mögliche belastende Momente – zum Beispiel zu hohes Tempo, eingeschränkte Sicht durch unzureichend freigekratzte Autoscheiben oder Alkoholeinfluss – im Konjunktiv verlieren. Scharbert: „Das wäre spekulativ.“
So muss sich das Trio weder vor Gericht verantworten noch hat es mit sonstigen juristischen Konsequenzen zu rechnen. Unfallspezialisten der Gruppe „Schneefall“ waren schon früh stutzig geworden, weil der „Tatwagen“ zwar das Plastiksteckgitter verlor, aber die sonst für tödliche Unfälle typischen Kratz- und Schleifspuren, Splitterungen oder Dellen in Karosserie und Windschutzscheiben fehlten.