Prozess um Sozialleistungsbetrug: Für zwei Zeugen klicken die Handschellen

von Redaktion

Rosenheimer Unternehmer soll Kassen um fast 1,45 Millionen Euro geprellt haben – Mitarbeiter geben sich vor Gericht in Traunstein ahnungslos

Traunstein/Rosenheim –- Die Zahl der angeblich ahnungslosen Zeugen steigt – wie auch die Zahl der vorläufigen Festnahmen wegen mutmaßlicher Falschaussage im Schwarzarbeitsprozess der Zweiten Strafkammer am Landgericht Traunstein gegen einen 52-jährigen Unternehmer mit Firmensitz in Rosenheim und Wohnung in Bad Reichenhall. Gestern klickten zum zweiten und dritten Mal die Handschellen – wie am vorherigen Verhandlungstag wieder für frühere Mitarbeiter des Angeklagten. In dem Verfahren geht es um 177-fache Schädigung von Sozialkassen durch nicht abgeführte Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge von über 1,447 Millionen Euro.

Der 52-Jährige hat sich bislang auf sein Schweigerecht berufen und will mit seinen Verteidigern, Dr. Markus Frank und Raphael Botor aus Rosenheim, auf Freispruch hinaus. Der Unternehmer soll Löhne für Mehrstunden seiner Mitarbeiter aus einer schwarzen Kasse bezahlt und die Ausgaben mittels Scheinrechnungen in seiner Buchhaltung verschleiert haben. Ex-Mitarbeiter des Angeklagten sollen zwischen 2010 und 2016 zu einem gewissen Teil sozialversicherungspflichtig und teils gegen Schwarzlohn gearbeitet haben.

Sichergestellte
Scheinrechnungen

Die Staatsanwälte Linda Amótfalvy und Alexander Foff haben Scheinrechnungen von insgesamt 20 Subunternehmern, überwiegend aus Berlin, aber auch aus Ottobrunn und Rosenheim aufgelistet. Die von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls sichergestellten Scheinrechnungen über knapp 2,3 Millionen Euro enthielten zum Teil Leistungen von nicht existenten Beschäftigten. Den Sozialkassen entgingen so gemäß Anklage Sozialbeiträge von 1447455,85 Euro.

Eine Reihe früherer echter Arbeitnehmer des Angeklagten wurde zwischenzeitlich teils rechtskräftig wegen Leistungsbetrugs am Arbeitsamt verurteilt. Der Grund: Sie hatten Arbeitslosengeld bezogen und hätten deshalb nur eine gewisse zulässige Stundenzahl nebenbei arbeiten dürfen.

Tatsächlich arbeiteten sie auf Baustellen des 52-Jährigen deutlich mehr, wie die Stundenaufzeichnungen des Angeklagten nach Überzeugung der Staatsanwälte beweisen. Einige Zeugen behaupteten im jetzigen Prozess, sie hätten das freiwillig getan und dafür einen sehr geringen oder gar keinen Lohn bekommen. Schwarzlohn wollte niemand genommen haben.

Dass sie in den eigenen Verfahren „voll umfänglich geständig“ gewesen waren, Tausende von Euro an das Arbeitsamt zurückbezahlt hatten, ihre eigenen Verurteilungen wegen Betrugs akzeptiert hatten – dafür fanden die Zeugen interessante Erklärungen. Einige meinten, ihre Anwälte hätten sie über nichts informiert oder geraten, sich so und so zu verhalten. Andere gaben vor, den Grund für ihre Verurteilung überhaupt nicht zu wissen.

Einen der Zeugen, der beharrlich bei seinen unglaubwürdigen Angaben geblieben war, hatte Staatsanwalt Alexander Foff am dritten Prozesstag vorläufig festnehmen lassen. Am gestrigen vierten Tag äußerte sich ein Zeuge nach dem gleichen Schema. Der Staatsanwalt gab dem Ex-Mitarbeiter des Angeklagten eine Chance: „Was Sie heute hier abgeliefert haben, wie Sie uns meiner Meinung nach alle für blöd verkauft haben, dafür beträgt die Mindeststrafe drei Monate Haft. Wenn Sie heute hier in Handschellen herausgehen, dann können Sie sich bei sich selbst und beim Angeklagten bedanken. Meine Frage daher: Wollen Sie dabei bleiben, was Sie gesagt haben?“ Der Zeuge bestand auf seiner Darstellung.

Unentgeltliche
Mehrstunden

Die Konsequenz war: Der Ankläger ließ den Zeugen vorläufig festnehmen. Einem weiteren drohte vor der Mittagspause Ähnliches. Der Vorsitzende Richter rechnete vor, durch die angeblichen unentgeltlichen Mehrstunden habe der Zeuge auf 40000 bis 50000 Euro verzichtet. Danach machte Staatsanwalt Alexander Foff ob der unveränderten Aussage des Zeugen, er habe „nichts bekommen“, seine Ankündigung wahr.

Gestern kamen auch „Werkverträge“ zur Sprache, die entgegen jeder üblichen Praxis nicht schriftlich geschlossen worden waren. Gleiches galt für Arbeitsverträge mit Beschäftigten. Vorsitzender Richter Erich Fuchs merkte dazu an: „Wenn über Jahre hinweg keine schriftlichen Verträge gemacht wurden, liegt der Verdacht nahe, dass da vielleicht etwas nicht stimmt.“

Die Verteidiger präsentierten zusätzliche Beweisanträge. Sie forderten beispielsweise, Zeugen anzuhören, die Leistungen erbracht hatten und in bar entlohnt wurden, sowie einen Geschäftsführer zum Beweis, dass Rechnungen Leistungen zugrunde lagen. Staatsanwalt Alexander Foff sprach von „reiner Verzögerung“ angesichts der Beweislage.

Nächster Verhandlungstag soll Montag, 16. Dezember, 9 Uhr, sein. Weitere Verhandlungstermine sind noch nicht bekannt. Monika Kretzmer-Diepold

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