Rosenheim – Der Streit um die Frage, wo und wie der künftige Güterverkehr auf der Schiene durchs Inntal rollen soll, hat sich jüngst zugespitzt. Die Bahn stellte am 1. Juli fünf mögliche Trassen vor und verwarf dabei endgültig die Option, eine ausgebaute Bestandsstrecke als Brenner-Nordzulauf zu nutzen. Genau das wollen die Gegner der Neubautrassen erreichen, sie präsentierten am Dienstag ihre konkreten Pläne (wir berichteten).
Der Vorwurf an die Adresse der Bahn lautet, sie habe einen Ausbau der Bestandsstrecke nie wirklich ernsthaft untersucht. Eine „sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Thema“ attestierte Dr. Martin Vieregg, der im Auftrag der Bürgerinitiative Brennerdialog Rosenheimer Land und mehrerer Gemeinden die Planung für einen Ausbau erstellt hat.
Neuer Trassenverlauf auf 14 Kilometern
„Uns liegt diese Studie bislang nicht vor. Wir werden sie uns aber besorgen und uns damit auseinandersetzen“, sagte Franz Lindemair, Sprecher der Bahn für Großprojekte in Bayern, im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen. Mit der Tatsache konfrontiert, dass in Viereggs Plänen von 35 Kilometern Ausbaustrecke rund 14 Kilometer neu trassiert werden sollen, sagte Lindemair: „Das ist ja eine halbe Neubaustrecke.“ Den Vorwurf, die Bahn habe nur oberflächlich untersucht, weist er als „haltlos“ zurück. Es gebe schlichtweg gewichtige Gründe gegen einen Ausbau der Bestandsstrecke.
In seiner Studie hatte der Münchner Verkehrsberater Vieregg unter anderem kritisiert, dass eine einheitliche Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h „nicht nachvollziehbar und sachlich nicht gerechtfertigt“ sei. Hier verweist Lindemair auf den Bundesverkehrswegeplan, in dem explizit die Zielgeschwindigkeit von 230 km/h genannt sei. „Das ist eine Maßgabe, um die Fahrzeiten der Fernzüge zwischen München und Verona auf etwa vier Stunden zu verkürzen.“ Eben diese Zeitspanne sei die „magische Grenze“, damit die Bahn beim Verkehr zwischen Großstädten mit den Fluglinien konkurrieren könnte.
Ein weiterer Kritikpunkt in der Studie ist, dass die Planer der Bahn die Anbindung der geplanten Haupt-Güterzugstrecke von Rosenheim über Mühldorf nach Regensburg und weiter nach Norden nicht berücksichtigt hätten. „Diese im Bundesverkehrswegeplan ausgewiesene Strecke soll künftig neben dem Rheintal als zweite Hauptachse des Nord-Süd-Schienengüterverkehrs ausgebaut werden. Sie dient der Umfahrung überlasteter Bahnknoten, insbesondere den Bahnknoten München“, schreibt Vieregg hierzu.
Bahnknoten München wird ausgebaut
„Es ist richtig, dass im Osten eine weitere Nord-Süd-Magistrale für den Güterverkehr entstehen soll“, sagt der Bahn-Sprecher. „Diese Strecke ist aber nicht als Verkehrsader für den Brenner-Zulauf vorgesehen. Sie soll vielmehr auf lange Sicht den Bahnknoten München entlasten, über den auch künftig der Güterverkehr zum und vom Brenner laufen wird.“
Um das zu gewährleisten, werde der Knoten München ausgebaut. Dass diese Pläne aufgrund politischer Querelen auf Eis liegen, wie es in der Studie heißt, entspreche nicht den Tatsachen. „Es gibt einzelne Diskussionen um das Wie, aber der Ausbau an sich steht nicht infrage“, so Lindemair.
Er äußerte sich auch zum Bahnknoten Rosenheim, der gemäß der Planungen der Vieregg und Rössler GmbH erheblich umgebaut werden sollte. „Unsere Grobtrassenentwürfe führen alle am Bahnhof Rosenheim vorbei, da er für den Brenner-Nordzulauf keine zentrale Rolle spielt“, so Lindemair. Es könne zwar im Zuge der Modernisierung mit dem Zugsicherheitssystem ETCS zu „einzelnen Anpassungen“ im Bahnhofsbereich von Rosenheim kommen, aber insgesamt seien in diesem Bereich keine umfangreichen Baumaßnahmen im Zusammenhang mit dem Nordzulauf erforderlich. „Das wäre ja auch ein städtebaulich höchst sensibles Thema.“
Lärmschutz muss verbessert werden
Einig sind sich alle Planer allerdings in einem Punkt: Der Lärmschutz an der Bestandsstrecke muss dringend verbessert werden. „Wir setzen bereits zusätzliche Maßnahmen um und installieren überall dort Schienenstegdämpfer, wo die Strecke durch Gebiete verläuft, die zwar bebaut sind, aber bisher nach den Kriterien des Bundes keinen aktiven Lärmschutz erhalten haben“, sagt Lindemair.
Eine weitere Verbesserung verspricht die Bahn durch die Umrüstung der Bremssysteme bei Güterwagen. „Ab Dezember 2020 sind laute Güterwagen auf deutschen Schienen verboten“, heißt es in einer Pressemitteilung der DB. Mit Verbundstoff-Bremssohlen seien die Züge um zehn Dezibel leiser, was einer gefühlten Halbierung des Lärms entspreche, so die Bahn.