Kolbermoor/Tuntenhausen – Wenn sich zwei streiten, wundert sich der Dritte: Tausende Autofahrer lesen in Kolbermoor seit Wochen Parolen, mit denen sie wenig anfangen können. Ein Anhänger rückt dort mit großen Plakaten effektvoll einen Prozess am Rosenheimer Arbeitsgericht ins Blickfeld – direkt an der viel befahrenen Staatsstraße. Nun ist das Wagerl weg. Doch es kommt bald wieder.
Es handelt sich um einen Konflikt, wie er in der Arbeitswelt in der Region laufend vorkommt: Ein Unternehmen wirft eine Mitarbeiterin raus. Diese akzeptiert die Kündigung nicht und zieht vors Arbeitsgericht. In der Regel ist das kein Thema für die Öffentlichkeit.
Doch im Rechtsstreit zwischen der Firma Frischpack in Mailling (Gemeinde Tuntenhausen) und Maschinenführerin Monika Anzill ist das etwas anderes, weil die langjährige Mitarbeiterin zusammen mit ihrem Lebensgefährten Lothar Steinert den Anhänger am Straßenrand aufgestellt hat.
Das Unternehmen, mit seinen 300 Mitarbeitern und maßgeschneiderten Lösungen auf dem Gebiet der Käseverarbeitung, Schneide- und Verpackungstechnik europaweit eine Größe, ist darüber nicht begeistert. Zumal das „Prozess-Wagerl“ zuletzt gleich doppelseitig betafelt war. In Richtung Bad Aibling fuhr man wochenlang am Plakat mit der Aufschrift „Schon wieder: Prozess gegen Frischpack wegen Entlassung“ vorbei (wir berichteten). Zuletzt stand auf einer zweiten Schrifttafel in Richtung Rosenheim: „Nein zu Unternehmerwillkür, politischer Entlassung, Lohnbetrug!“
Seit ein paar Tagen ist der Wagen weg. „Doch wir stellen ihn bald wieder auf“, kündigen Anzill und Steinert die Fortsetzung des ungewöhnlichen Arbeitskampfes am Straßenrand an – vielleicht bis in den Sommer hinein. Eine außergerichtliche Einigung zeichnet sich nicht ab, nächster Verhandlungstermin am Rosenheimer Arbeitsgericht ist erst am 27. Juni.
Schon Anfang 2018 hatte das Unternehmen der Mitarbeiterin fristlos gekündigt. Anzill klagte auf Wiedereinstellung – und bekam vor dem Arbeitsgericht recht. Im Februar 2019 kam es zum zweiten Rauswurf. Der Grund: Die Mitarbeiterin nahm ihren Lebensgefährten zum Betriebsverkauf aufs Firmengelände mit, obwohl ihm Frischpack Hausverbot erteilt hatte.
Das Hausverbot sei als Kündigungsgrund nur vorgeschoben, sagt Anzill. In Wahrheit wolle man nur eine unbequeme Mitarbeiterin loswerden, die den Mund aufmache, wenn „die Leute in trauter Eintracht von NGG, Betriebsrat und Firmenleitung über den Tisch gezogen werden“.
„Brutale Ausbeutermethoden“
Hintergrund ist die Debatte um die Vergütung der „Umziehzeit“ im Betrieb, die sich jahrelang hingezogen hat. Die Umziehzeit ist die Zeit, die man zum Umziehen und Anlegen der vorgeschriebenen Hygiene-Arbeitskleidung benötigt.
Anzill, ehemalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, wirft der Firma „brutale Ausbeutermethoden“ vor, weil die Umziehzeit jahrelang nicht bezahlt worden sei und nun – mit einer Pauschale für die Zeit von 2014 bis 2018 – nur unzureichend vergütet worden sei. Dies könnte das Tischtuch zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeiterin neuerlich zerschnitten haben.
Nach Abschluss der Betriebsvereinbarung zur Umziehzeit habe sie Anzeige erstattet, betont die Kolbermoorerin: gegen Frischpack wegen Lohnbetrugs, gegen Betriebsrat und Gewerkschaft NGG wegen Beihilfe zum Lohnbetrug.
Beim ersten Gütetermin am Arbeitsgericht hat Richter Alexander Winklmann eine Abfindung ins Spiel gebracht – vergeblich. „Die vom Gericht angeregte gütliche Einigung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses konnte noch nicht gefunden werden“, teilt die Firma mit. So wird Ende Juni neu verhandelt. Die Schriftsätze müssen bis zum 31. Mai eingereicht sein.
Kündigungsgrund ist laut Firmenleitung der Verstoß gegen das Hausverbot durch den Lebensgefährten. Die Mitarbeiterin habe „den Verstoß ermöglicht und daher aktiv einen empfindlichen Eingriff in die Integrität unseres Unternehmens gestützt“, so Frischpack. Dabei habe sie sich wiederholt über ihre Pflichten als Arbeitnehmerin hinweggesetzt: „Um unser Unternehmen und vor allem den Rest der Belegschaft, für die wir Verantwortung tragen, zu schützen, hatten wir leider keine andere Wahl.“
„Fast alle Mitarbeiter fanden Lösung gut“
Die Geschäftsleitung betont weiter, dass sie froh sei, endlich ein „Einvernehmen mit der Arbeitnehmervertretung zu den Umzieh-, Wege- und Hygienezeiten in unserem Unternehmen zur Zufriedenheit beider Seiten erzielt zu haben“. Die neue Betriebsvereinbarung räume den Mitarbeitern 13 Minuten Umzieh- und Wegezeit pro Tag ein. Von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, hätten die Lösung alle Mitarbeiter „für gut befunden“ und ihre „persönliche Zustimmung“ erteilt. Von Anzills Anzeige wegen Lohnbetrugs wisse man nichts. Die Maschinenführerin habe das beim Gütetermin erwähnt, Frischpack liege aber keine Anzeige vor, so die Firma.
Dass sich die Parteien vor dem 27. Juni noch außergerichtlich einigen, scheint ausgeschlossen. Wann steht das Wagerl wieder am Straßenrand? „Bald – und mit veränderten Texten auf den Plakaten“, sagen Anzill und Steinert. Es gibt also neuen Lesestoff für die Autofahrer Sonst wird’s ja langweilig.