Oberaudorf – Bindungsangst – da denkt man eigentlich an einen Fall für den Psychologen oder Beziehungsberater. Nur einer Skitourengeherin aus Oberaudorf kommt dabei etwas anderes in den Sinn. Vor Kurzem, zum krönenden Abschluss eines traumhaften Tourtages, wollte sie elanvoll vom Spitzsteingipfel ins Tal wedeln – und lag plötzlich im Schnee. Der Grund: Weder ein Fahr- noch Materialfehler. „Da ist an der Bindung manipuliert worden“, hieß es bei ihrem Sportfachhändler.
Da fiel die 61-jährige Oberaudorferin natürlich aus allen Wolken. Zumal sie offenbar nicht das einzige Sabotage-Opfer war. „Das sei schon der 16. Fall gewesen, hat mir der freundliche Monteur im Sportgeschäft erklärt“, beteuert die empörte Tourengeherin im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen. Vor allem in Tirol sei es schon zu einigen Fällen gekommen.
Der Fachhändler aus dem Raum Rosenheim, der namentlich nicht genannt werden will, bestätigt das gegenüber unserer Zeitung – allerdings mit einer Erweiterung des Zeitfensters: Die 16 Fälle beziehen sich nicht nur auf den aktuellen Skiwinter, sondern auf die vergangenen zwei bis drei Jahre. Fast ausnahmslos habe der mutmaßliche Tatort in Tirol gelegen. Betroffen seien sowohl Touren- als auch Alpinski-Bindungen gewesen.
Im Fall der Oberaudorferin hat ein Unbekannter wohl die Schraube an der Bindung gelockert, die sie samt Skiern erst ein Jahr zuvor gekauft hatte. So schnappte die Frau bei der Abfahrt vom Spitzsteingipfel mit einem Skischuh aus der Bindung und stürzte. Neben ihr lag der ganze Fersenkopf im Schnee. Die Schraube, die eigentlich ganz fest angezogen ist, war verschwunden.
Wo hatte die 61-Jährige ihre Ski vor der Spitzsteintour zuletzt unbeaufsichtigt abgestellt? „Am Weinbergerhaus bei Kufstein, nahe der Kaiserlift-Bergstation, und an der Hohen Salve in Tirol“, erinnert sie sich. „Da müsste es sowas wie eine Pistenpolizei geben, die nach dem Rechten sieht.“
In den Info- und Tourismus-Centern in St. Johann und der Skiwelt Wilder Kaiser-Brixental winkt man allerdings ab. Vom Phänomen „Bindungs-Sabotage“ hätten sie bisher noch nichts gehört, erklären die Mitarbeiter ausnahmslos den OVB-Heimatzeitungen.
Die Spur nach dem mutmaßlichen Saboteur verliert sich auch bei einer Umfrage unter weiteren Skisport-Fachgeschäften in der Region im Nichts. „So etwas haben wir bei unseren Kunden noch nicht festgestellt“, heißt es beispielsweise bei Intersport Siebzehnrübl in Rosenheim und Sport Brosig in Kiefersfelden.
Eine Alpinski-Bindung könne man in einem Sekundenbruchteil im Vorbeigehen verdrehen, erklären die heimischen Fachhändler. Die Schraube einer Tourenski-Bindung zu lockern – dafür brauche es etwas mehr Zeit und Fachverstand. „Wenn das wirklich Sabotage war, dann schockiert mich das“, sagt Mitarbeiter Thomas Huber von Intersport Praxenthaler im Kaufland Rosenheim.
„Es ist schon möglich, dass sich da ein Verrückter oder Halbstarker einen schlechten Scherz erlaubt hat“, so die Fachhändler. Dass es sich um gezielte oder gar organisierte Sabotage handelt, können sie sich nicht vorstellen. So oder so – die Tourengeherin aus der Gemeinde Oberaudorf wird künftig erst einen prüfenden Blick auf ihre Ausrüstung werfen, bevor sie abfährt. Zumindest so lange, bis die Bindungsangst wieder weg ist.