Rosenheim – Felskletterer, Höhenbergsteiger, Europapolitiker, Museumsgründer und Filmemacher – der Südtiroler Reinhold Messner (74) ist so vielen Passionen nachgegangen, dass es für mehrere Leben reichen würde. Unter anderem davon wird er bei einem Vortrag am 13. März in Rosenheim berichten. Im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen spricht Messner über Motivation, Klimawandel und den Verkauf seines Heimatlandes Italien.
Herr Messner, wie geht es Ihnen? Was treiben Sie?
Ich klage nicht (lacht). Ich halte ein paar Vorträge, immer eine Woche pro Monat. Ansonsten bin ich gerade mit einem Film über den Monte San Salvatore (am Ufer des Luganersees in der Schweiz, Anm. d. Red.) beschäftigt. Der will einfach nicht gelingen. Bei den Dreharbeiten hat es gestürmt, deswegen haben wir nicht das gewünschte Material. Die Natur ist eben der Hauptdarsteller. Jetzt müssen wir einiges umbauen.
Stichwort Natur: Wir hatten in der Region jüngst die massivsten Schneefälle seit Jahren. Eine Folge des Klimawandels?
Das hat sicher auch mit dem Klimawandel zu tun. Den Wirbel um die Schneefälle halte ich aber für übertrieben. Als ich noch ein Knirps war, hatten wir nur solche Winter. Schön finde ich, wie viel Solidarität die Betroffenen auch über Landesgrenzen hinweg gezeigt haben. Wie einer dem anderen beim Abräumen der Dächer geholfen hat. Da haben wir Europäer eine brauchbare Kultur entwickelt.
Sie verbringen noch immer viel Zeit an Orten, die für den „Otto Normalverbraucher“ nicht oder nur schwer zugänglich sind. Sehen Sie dort Anzeichen für den Klimawandel?
Ja. Die Gebirge dieser Erde sind die Leidtragenden. Dort schreiten die Veränderungen deutlich schneller voran. Gletscher schmelzen weltweit, in den Dolomiten brechen wolkenkratzergroße Stücke heraus. Im Gebirge findet in den vergangenen zehn Jahren ein Wandel statt, den es die vergangenen 100 Jahre nicht gegeben hat.
Stichwort Europa: Worin sehen Sie als ehemaliger Europaparlamentarier den Grund, dass derzeit in vielen Ländern – mit der Lega- und Fünf-Sterne-Regierung auch in Ihrer Heimat Italien – europafeindliche Bewegungen an Einfluss gewinnen?
Ich bin kein Italiener (lacht). Ich bin Südtiroler, Europäer und Weltbürger. Ich hoffe, dass ich irgendwann einen europäischen Pass bekomme. Die Briten glauben, sie steigen durch den Brexit zu alter Größe auf, gleichzeitig übernimmt China die Weltführung. Nur als geeintes Europa haben wir da starkes Gewicht. In Deutschland sind diese anti-europäischen Strömungen nicht so schlimm – in Italien haben wir mit Matteo Salvini (Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident, Anm. d. Red.) einen Faschisten. Früher oder später ist Italien so verschuldet, dass uns ein anderes Land kaufen wird. Dabei ist Italien das schönste Land in Europa mit den besten Nahrungsmitteln.
Sie haben alle 14 Achttausender bestiegen, die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi durchquert. Woher nehmen Sie die Motivation?
Mein großes Glück war, dass ich schon mit 25 zum ersten Mal gezwungen war, umzusteigen. Für das Felsklettern Motivation zu finden, war nicht schwer, dann habe ich mir aber die Füße erfroren. Plötzlich war ich nur noch ein zweitklassiger Felskletterer. Ich habe drei bis vier Jahre gebraucht, um damit umzugehen. Dann habe ich gemerkt, dass ich in größerer Höhe auch mit weniger Zehen alles machen kann. Damals gab es beim Höhenbergsteigen noch viele Tabus. Ich habe angefangen, diese zu hinterfragen und dann eins nach dem anderen gekillt. Als ich mit den Achttausendern fertig war, habe ich mit etwas Neuem angefangen, Europaparlament, Aufbau von Museen und jetzt Filme.
Was würden Sie jemandem raten, der morgens Probleme hat, aus dem Bett und in die Arbeit zu kommen?
Wir müssen uns vorstellen, was an Herausforderungen kommt. Das macht uns kreativ. Man braucht ein selbst gestecktes Ziel. Wenn mich jemand zu alldem gezwungen hätte, hätte ich das nicht durchgestanden. Diejenigen, die das machen, was sie machen wollen, werden es in Zukunft gut haben. Buchführer wird es irgendwann nicht mehr brauchen, das erledigt die Technik. Kreatives Schreiben wird aber beispielsweise Bestand haben.
Genauso wie Filme?
Ja. Ich bin jetzt wieder viel draußen. Ziel ist aber nicht mehr der Gipfel, sondern eine Geschichte nach Hause zu bringen. Ich möchte das Narrativ des Bergsteigens lebendig halten. Was passiert dabei mit uns? Man sammelt Erfahrungen wie in der Steinzeit, geht dorthin, wo die anderen nicht sind. Man handelt alleinverantwortlich, begibt sich aus den Sicherheiten der modernen Welt heraus. Es folgen Ängste, aber auch Hochgefühle.
Stichwort Angst: Viele Inntal-Bürger treiben angesichts der geplanten Zulaufstrecke zum Brennerbasistunnel massive Sorgen um. Wie stehen Sie als Naturfreund zu dem Projekt?
Das ist schwierig. Der Basistunnel und die Zulaufstrecke müssen gebaut werden, weil sonst Tirol und das Trentino im Verkehr ersticken. Ob ober- oder unterirdisch muss die Regierung entscheiden. Ich verstehe, dass die Bürger leiden, aber der Verkehr gehört auf die Schiene. Da ist Bayern in der Verpflichtung. Schließlich haben sie 1809 Tirol überfallen, das haben wir ihnen noch nicht ganz verziehen (lacht).
Sie statten der Region im März einen Besuch ab. Welche Berge können Sie hier empfehlen?
Welche Berge (lacht)? Das Inntal ist eine sehr schöne Hügel-Landschaft. Aber im Ernst, ich war früher oft in Rosenheim, auch weil meine Schwester in der Nähe wohnt. Und im Kaisergebirge war ich öfter unterwegs.
Ihr Vortrag trägt den Titel „ÜberLeben“. Worum geht‘s?
Ich erzähle über das Leben – und zwar aus der schrägen Sicht eines Abenteurers. Von der Menschennatur, wie sie vor 20000 Jahren war, von der Zeit, in der die Menschen als Jäger und Sammler durchs Gebirge zogen und von meiner Vorstellung vom Jenseits. Jeweils anhand von Bildern und Sprachbildern. Interview: Bastian Huber