Rosenheim – Der Missbrauchsskandal und die Veröffentlichung der dazu in Auftrag gegebenen Studie der Bischöfe im September haben Mitglieder der katholischen Kirche erschüttert. Die Nachbeben sind noch heute spürbar: Es herrscht Ratlosigkeit, das Vertrauen in die Institution ist vielerorts beschädigt. Auch bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD) sitzt der Stachel tief. Dieser Unmut soll heute mit bundesweiten Klage-Andachten unter dem Motto „#MachtLichtAn“ zum Ausdruck gebracht werden – auch in Rosenheim. Im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen spricht Dekanatsleiterin Astrid Handke über die Auswirkungen in ihrem Zuständigkeitsbereich, Missstände in der Kirche und den Zölibat.
Frau Handke, welche Spuren hat der Missbrauchsskandal bei Ihnen persönlich hinterlassen?
Ich bin zwar nicht persönlich betroffen. Trotzdem hat mich der Skandal gerade im Hinblick auf sein Ausmaß sehr erschüttert. Total bitter ist vor allem die starre Haltung der Handelnden, da bewegt sich kaum etwas.
Wie hat sich der Skandal auf ihr Dekanat ausgewirkt?
Das kann ich nicht beurteilen, ich habe mein Amt erst vor zwei Wochen angetreten. Die starre Haltung der Kirche zieht sich allerdings auch durch unser Dekanat. Als es um die Durchführung der Klage-Andacht ging, gab es Stimmen von Geistlichen, die gesagt haben: „Das machen wir nicht. Wir glauben nicht, dass da viele kommen und sich beteiligen.“ Ich habe gesagt, wir in Schloßberg machen mit.
Sind Ihnen Missbrauchs-Fälle im Dekanat Rosenheim bekannt?
Ja, es gibt wohl Fälle. Wie viele das sind, ist allerdings schwer zu sagen, die Dunkelziffer ist enorm hoch. Die Opfer schämen sich schlichtweg, trauen sich nicht an die Öffentlichkeit oder haben den Mut verloren.
Wie konnte es so weit kommen? Wo liegen die Missstände?
Das geht auf eine lange Tradition zurück. Ich will den Priestern mal zugutehalten, dass sie sich ihres Missbrauchs gar nicht bewusst waren. Im Vergleich zu früher hat sich die Empfindsamkeit verändert. Wenn ich früher zu Hause von einem Klaps in der Schule erzählt habe, hieß es von den Eltern: „Du wirst es schon gebraucht haben.“ Heute werden die Eltern sofort beim Schulleiter vorstellig. Oder wenn früher ein Lehrer an der Tafel einem Mädchen unter dem Arm durchgegriffen hat, hat niemand etwas gesagt. Heute ist das sexueller Missbrauch. Ähnlich hat es sich wohl auch auf kirchlicher Seite verhalten. Die „Opfer“ leiden noch heute unter den Folgen, doch die Verantwortlichen mauern und halten den Deckel drauf.
Welche Rolle spielt da der Zölibat?
Eine sehr große. Ich meine: Geistliche sind letztlich auch nur Menschen mit Bedürfnissen, die sie aufgrund ihres Gelübdes und der kirchlichen Haltung nicht ausleben können. Pädophil Veranlagte gab es immer und wird es immer geben. Vonseiten der Kirche wurden diese Vorkommnisse immer gedeckt. Das ist das Schlimmste.
Was muss jetzt Ihrer Meinung nach geschehen?
Die Leute, ob betroffen oder nicht, müssen rausgehen und sich zeigen. Und die Kirche muss ihre Fehler zugeben und die Protokolle zu den Missbrauchs-Fällen öffentlich machen. Die werden ja nach wie vor unter Verschluss gehalten. Bislang wird nur geredet. Diese alten Verkrustungen müssen aufgeweicht werden.
Ein Führungswechsel?
Auch – und zwar an oberster Stelle. Selbst der Papst hat schließlich erst kürzlich wieder eine Kehrtwende vollzogen, was den Umgang der Kirche mit schwulen Priestern angeht. Da herrscht aber auch zu viel Druck seitens der Kurie, die Machtstrukturen der Kirche sind zu ausgeprägt. Das wird immer so weitergehen, wenn wir uns nicht alle solidarisch für unsere Forderung nach einem Strukturwandel einsetzen.
Die Lösung?
Aufmerksamkeit und Achtsamkeit.
Deshalb die Klage-Andacht?
Ja. Wir müssen das Thema in die Öffentlichkeit tragen. Bundesweit sind 450000 Frauen Mitglied bei der KFD. Nicht alle werden auf die Straße gehen. Trotzdem wird hoffentlich Einiges passieren. Es wäre schön, wenn die Kirchentür von unzähligen Taschenlampen bis ins letzte Eck erleuchtet wird, stellvertretend für den Umgang der Kirche mit dem Missbrauch.
Interview: Bastian Huber