Einfach nur ganz normal sein

von Redaktion

OVB-Leser zeigen Herz Wie Anja die Psychiatrie hinter sich ließ

Wasserburg/Attel – Anja ist 48 Jahre alt, kleidet sich gern chic und hört am liebsten Cat Stevens. Sie geht gerne shoppen und ihr Lieblingsfilm ist „Keinohrhasen“ mit Till Schweiger.

Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch was erst mal ganz normal klingt, war für Anja ein jahrzehntelanger Weg. Dieser führte sie von langjährigen Krankenhaus- und Psychiatrieaufenthalten in die Stiftung Attl. Jahrelange heilpädagogische Begleitung in einer Intensiv-Wohngruppe stabilisierte sie. Sie hat sich so weit entwickelt, dass sie nun bald in ein offenes Wohnangebot wechseln kann. Ein weiterer Schritt hin zu einem zumindest halbwegs normalen Leben.

„Anja kam bereits mit 17 Jahren in die Psychiatrie“, erinnert sich Josef Spielvogel. Er ist Heilerziehungspfleger und Gruppenleiter der Samuelgruppe in der Stiftung Attl, die von der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ unterstützt wird. 1996 war das die erste Intensivwohngruppe. Seither kennt er sie. Damals wurde Anja im Rahmen der Enthospitalisierung – nach knapp zehn Jahren Aufenthalt – aus dem damaligen Bezirkskrankenhaus Gabersee nach Attl verlegt.

„Sie zog sich damals zum Teil sehr zurück, verkroch sich unter ihrer Decke und hatte keinerlei Interesse an irgendwelchen Aktivitäten“, erinnert sich Spielvogel. Doch die neue Bewohnerin hatte auch noch eine weitere Seite: die höchst emotionalen Ausbrüche, schweren Aggressionen und Verhaltensauffälligkeiten als Ausdruck ihrer psychiatrischen Erkrankung.

Menschen mit geistiger Behinderung und schweren psychiatrischen Erkrankungen werden im sogenannten Intensivwohnen betreut. Sie benötigen aufgrund ihrer Verhaltensweisen eine enge Begleitung, um ihren Alltag bewältigen zu können.

„Unsere Aufgabe war und ist es, ihr ein verlässliches Umfeld zu schaffen“, erklärt Spielvogel. „Was stabile Beziehungen betrifft, war bei Anja das Vertrauensverhältnis in der Vergangenheit schwer betroffen.“ Regelmäßigkeiten und klare Strukturen spielen eine große Rolle, wenn es darum geht, Sicherheit zu vermitteln, denn genau dies reduziert die emotionalen Belastungen, deren Folge die Verhaltensauffälligkeiten sind.

Mit Spendengeldern konnte 1999 ein Umbau der Samuelgruppe nach einem speziellen heilpädagogischen Konzept finanziert werden. Anja bekam schließlich ein Einzelzimmer. Zeitgleich festigte sich personell auch das betreuende Team. So wurde es möglich, für die äußerst sensible Bewohnerin einen verlässlichen Rahmen zu schaffen und ihrem Leben so etwas wie Struktur zurückzugeben. Das Team erarbeitete auf der Gruppe mit Anja konsequent Möglichkeiten, Konflikte zu bewältigen. Das führte schließlich zu einer Stabilisierung.

Mit dem Besuch der Förderstätte eröffnete sich für Anja ab 2012 erstmals ein zweiter Lebensbereich. Zuerst mit nur einer Stunde täglich. Da war sie schon 42 Jahre alt. Im Laufe der Zeit hat sie auch gelernt, mit Konflikten umzugehen. Sie übernimmt Aufgaben, die im Haushalt der Gruppe anfallen und weiß, wann und wo sie sich zurückziehen kann, wenn ihr mal etwas zu viel wird.

„Wir wollen den betreuten Menschen nicht irgendwelche Vorgaben überstülpen“, so Spielvogel. „Es gehe darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen der Mensch sein Leben leben kann.“

Seit fünf Jahren ist Monika Zwerger die gesetzliche Betreuerin von Anja. Sie besucht sie regelmäßig. Dann geht es meist nach Wasserburg zum Kaffeetrinken in den Stechlkeller oder zum Einkaufen. Beim Shoppen dreht sich viel um Schuhe.

„Sie ist viel selbstständiger geworden, kann auch einmal alleine auf dem Stiftungsgelände einen Spaziergang machen oder ins Florian-Stüberl gehen“, meint Monika Zwerger. „Ich denke, dass für sie bald eine offene Wohnform möglich wird“, sagt die Betreuerin. Für Anja sind damit die Weichen in ein halbwegs normales Leben gestellt.
Neue Liste mit den Namen der Spender. Leser zeigen Herz, Seite 20

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