„Du hast das Kind komplett ruiniert“

von Redaktion

Zweiter Prozesstag zu Schüssen am Rosenheimer Salinplatz – Geschädigte äußert sich zum Tathergang

Traunstein/Rosenheim – 25000 Euro Schmerzensgeld und die Übernahme sämtlicher Kosten fordert eine 26-Jährige als Entschädigung für ihre schweren Bauchverletzungen und die psychischen Folgen, die sie durch mehrere Schüsse eines 59-Jährigen am 16. März 2018 abends in Rosenheim davongetragen hat (wir berichteten). Vor dem Schwurgericht Traunstein schilderte die Nebenklägerin, was damals geschah und wie sehr ihr Sohn (8) bis heute darunter leidet. Der Prozess wird am 14. Dezember fortgesetzt.

Zu den Hintergründen – der Angeklagte fühlt sich von der Mutter der 26-jährigen Rosenheimerin um Geld für den Kauf einer Finca in der Dominikanischen Republik geschädigt – wusste die Zeugin wenig. Sie bestätigte gestern, dass ihre Oma in der fraglichen Zeit tatsächlich ein Haus gekauft habe. Einzelheiten seien ihr aber nicht bekannt. Sie habe ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Familie und sich immer herausgehalten. Von dem 59-Jährigen habe sie nie Geld erhalten. Dass er mit Hilfe der Familie ein Grundstück kaufen wollte, habe sie gewusst: „Ich hatte aber Bedenken. Ich war total dagegen. Er war mir unsympathisch.“

Am Tattag kaufte die 26-Jährige mit ihrem achtjährigen Sohn an der Salinstraße ein. Als die beiden aus dem Geschäft kamen, sah die 26-Jährige den Angeklagten. Sie ignorierte ihn. Auf die Aufforderung „Warte“ reagierte sie mit: „Lass mich in Ruhe.“ Der 59-Jährige überholte sie, öffnete die Jacke und zeigte eine im Hosenbund steckende Waffe. Die Frau weigerte sich, mit ihm zu gehen. „Er zog die Waffe“, erzählte die 26-Jährige. „Ich schubste mein Kind in die Menschenmenge und sagte ‚lauf‘.“ Alles sei sehr schnell gegangen.

Opfer: Angeklagter wollte es beenden

Sie habe ein „Bumm“ gehört, aber nichts gemerkt. Sie sei weggerannt, zu Boden gefallen und habe einen Schuss im Lungenbereich verspürt. Schließlich sei der 59-Jährige vor ihr gestanden: „Ich lag am Boden. Er richtete die Waffe auf mein Gesicht. Ich habe die Augen zugemacht und gebetet.“ In diesem Moment rissen Passanten den Täter zur Seite. Die Zeugin: „Er hat vor den Schüssen gesagt, er hat die Schnauze voll. Er wolle es beenden.“

Die 26-Jährige musste im Klinikum Rosenheim an Darm und Lunge notoperiert werden. Nach einer Woche auf Intensiv und einer weiteren Woche auf einer Station musste sie vier Wochen lang täglich zum Hausarzt zum Verbinden. Die Schmerzen haben nachgelassen. Am Oberschenkel hat sie Taubheitsgefühle und Schmerzen „wie von tausend kleinen Ameisen“. Anfangs waren Angstzustände und Schlafstörungen die Regel. „Meine Psyche hat sich ein bisschen stabilisiert. Es geht immer noch rauf und runter. Gelegentlich suche ich Notfallgespräche mit einem Psychologen.“

Auch der Sohn benötigte psychologische Behandlung. Noch heute schreie er „jede Nacht“. Insgesamt bessere sich sein Zustand: „Er geht schon aus dem Haus, ohne vor jeder Ecke Angst zu haben.“ Zum Tatmotiv des 59-Jährigen war die Nebenklägerin ratlos: „Für den Angriff auf mich gibt es keinen Grund.“

Der 59-Jährige wollte sich entschuldigen – was ihm die 26-Jährige zunächst erlaubte. Der Angeklagte beteuerte: „Ich wollte Dir nicht wehtun. Das ist das Letzte, was ich möchte – dass Kinder, Tiere oder hilflose Menschen leiden.“ Bei diesen Worten brach die junge Mutter in Tränen aus: „Der Kleine ist nicht mehr der Alte. Er hat Angst, wenn er rausgeht, dass ihm jemand was antut. Du hast das Kind komplett ruiniert.“ Mit diesen Sätzen stürzte die 26-Jährige aus dem Gerichtssaal.

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