Rosenheim – Das letzte Wort der Urteilsbegründung war kaum verklungen, da stürmte die Mutter des Angeklagten nach vorne, baute sich vor Staatsanwalt Jan Salomon auf und redete lautstark auf ihn ein. Was die aufgebrachte Frau dem Anklagevertreter genau sagte, ging im Stimmengewirr unter. Doch die Drohgebärde war auch Richterin Julia Haager zu viel. Erst ihr Hinweis, den Saal durch Justizbeamte räumen zu lassen, brachte die Frau zur Raison.
Es war ein emotionsgeladener Fall, über den Haager gestern vor dem Rosenheimer Amtsgericht zu entscheiden hatte. Laut Anklage soll sich Daniel R. (24) aus Kolbermoor am 4. April gegen 0.20 Uhr mit einem Bekannten ein Autorennen in Rosenheim geliefert haben.
Bei dem Angeklagten handelt es sich um den jungen Mann, der sich nur wenige Tage nach dem Vorfall für den Unfalltod von Melanie Rüth (21) und Ramona Daxlberger (15) vom Samerberg vor Gericht verantworten musste und in erster Instanz unter anderem wegen fahrlässiger Tötung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Er soll einen überholenden Autofahrer am Wiedereinscheren gehindert haben (wir berichteten).
So hatten sich im Gerichtssaal nicht nur die Eltern des Angeklagten, sondern auch die Eltern der beiden verunglückten Mädchen eingefunden. Was nicht nur während der Sitzung für Diskussionsstoff, sondern nach dem Urteil zu einem heftigen Wortgefecht zwischen der Mutter des Angeklagten und Manuela Daxlberger, Mama der am 20. November 2016 auf der Miesbacher Straße in Rosenheim tödlich verunglückten Ramona, geführt hatte.
So emotional die Reaktionen im Zuschauerraum, so nüchtern trug Staatsanwalt Salomon das Vergehen vor, das dem Kolbermoorer zur Last gelegt wurde. Er soll sich als Fahrer eines blauen BMW mit einem weiteren BMW-Fahrer ein Rennen von der Enzenspergerstraße über die Äußere Münchner Straße und zurück Richtung Innenstadt geliefert haben.
Quietschende
Reifen gehört
Ein Vorwurf, den zwei Polizisten im Zeugenstand bestätigten. Beide Beamte sagten aus, die beiden BMW nebeneinander fahrend auf der Enzenspergerstraße beobachtet zu haben. Beide Fahrzeuge seien dann mit quietschenden Reifen in die Äußere Münchner Straße Richtung Brückenberg abgebogen. Daraufhin habe das Team die Verfolgung aufgenommen.
„Es war für mich klar, dass das ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist“, sagte einer der Polizisten aus. Bestätigt fühlte sich der Ordnungshüter in seiner Einschätzung, als R. mit seinem BMW im letzten Moment vor der damaligen Baustellenverengung am Brückenberg vor dem anderen BMW eingeschert sei. Genaue Tempoangaben konnten die Polizisten nicht machen, aber: „Obwohl ich 80 oder 90 km/h gefahren bin, konnte ich kaum aufschließen“, erinnerte sich der Fahrer des Polizeifahrzeugs an die Verfolgung.
In der Wittelsbacherstraße hatten sich die Polizisten dann zwischen die beiden BMW gesetzt und diese zum Anhalten aufgefordert. Während Daniel R. sein Fahrzeug stoppte, machte sich der andere, immer noch unbekannte Fahrer aus dem Staub.
Bei der Kontrolle zeigte sich der Kolbermoorer dann nach Angaben eines der Polizisten „alles andere als kooperativ“. Mehrmals bezeichnete er das Vorgehen der Beamten als „lächerlich“. Beim Telefonat mit einer unbekannten Person habe er zudem gesagt: „Jetzt haben sie mir schon wieder den Führerschein genommen. Aber das ist mir egal. Ich geb‘ meinen Führerschein einfach freiwillig für drei bis vier Jahre ab. Dann kaufe ich mir einen Lambo und penetrier sie richtig.“
Ein Zitat, das laut Daniel R. so nie gefallen sei. Zwar bestätigte der 24-Jährige, beim Telefonat mit seiner Mutter davon gesprochen haben, jetzt einen Lambo zu kaufen. „Allerdings aus dem Grund, weil ich ständig kontrolliert werde und die BMW anscheinend zu auffällig sind.“ Eine Bemerkung, die bei Staatsanwalt Salomon für Kopfschütteln sorgte: „Das ist doch Unsinn.“
Auch sonst wichen die Angaben des Kolbermoorers deutlich von den Aussagen der Polizisten ab. So sagte der 24-Jährige aus, über eine Nachricht aufs Smartphone bereits über die Kontrollen informiert worden zu sein. Daher sei er nicht, wie zunächst beabsichtigt, nach Hause gefahren, sondern habe versucht, eine Kontrolle zu umgehen. „Ich bin doch nicht so blöd, ein Rennen zu fahren, wenn ich weiß, dass kontrolliert wird“, kommentierte er den Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Auch Harald von Koskull, Verteidiger von Daniel R., sah keinerlei Anhaltspunkte für ein Rennen. Er bezweifelte sogar, dass einige Beobachtungen der Polizisten überhaupt „technisch möglich gewesen sind“, weshalb er beantragte, einen Sachverständigen einzuschalten. Was Haager nach kurzer Bedenkzeit ablehnte – ebenso wie den Freispruch, den von Koskull für seinen Mandanten gefordert hatte.
Letztlich sah es die Richterin als erwiesen an, dass sich der 24-Jährige am 4. April mit einem unbekannten BMW-Fahrer – den Namen wollte R. nicht nennen – ein Straßenrennen durch Rosenheim geliefert hat. Sie verurteilte den Kolbermoorer zu einem Führerscheinentzug von zwei Jahren und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 45 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte sogar einen Führerscheinentzug von drei Jahren und neun Monaten sowie eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu jeweils 100 Euro gefordert.
Um an eine Unschuld des Angeklagten glauben zu können, hatte die Richterin „zu viele Ansätze für ein illegales Straßenrennen“ gesehen und zudem „glaubhafte Zeugenaussagen“ der beiden Polizisten gehört. „Ich halte Sie für nicht geeignet, ein Kfz zu führen“, sagte sie an den 24-Jährigen gewandt. „Bei ihnen ist eine gewaltige Nachreifung beim Verhalten im Straßenverkehr nötig.“
Berufung
angekündigt
Ausführungen, die dem 24-Jährigen Kolbermoorer sichtlich nicht schmeckten. Während der Urteilsbegründung drehte er sich demonstrativ von der Richterin weg, blickte immer wieder auf die Uhr und kommentierte einzelne Passagen durch ein ironisches Nicken. Auch für seinen Anwalt war das Urteil völlig unverständlich. „Selbstverständlich werden wir in Berufung gehen“, sagte Koskull gegenüber den OVB-Heimatzeitungen. „Da brauche ich nicht lange darüber nachzudenken.“