Kreisjugendring feiert 70-jähriges Bestehen – Festvortrag von Winfried Pletzer
Nah dran an Erfordernissen der Zeit
Neubeuern – Was haben die Augsburger Puppenkiste, die legendäre „Ente“ von Citroen und der Kreisjugendring gemeinsam? Antwort: Sie werden alle drei siebzig, aber man sieht es ihnen nicht an. Mit diesem Satz begann Erika Spohn, Vorsitzende des Kreisjugendrings Rosenheim, ihre Ansprache zu dessen Geburtstagsfeier, die am Donnerstag in Neubeuern im Gasthaus Vornberger stattfand.
Was auf den ersten Blick nur ein nettes Bonmot zu sein scheint, verweist in Wahrheit auf eine Tatsache, über die man eigentlich nicht genug staunen kann: Dass eine Institution nach siebzig Jahren noch genau so frisch und unverbraucht ist wie am ersten Tag. Das unterstrich Winfried Pletzer, der Festredner des Abends. Er, der als erster Kreisjugendpfleger des Landkreises den Kreisjugendring über zwanzig Jahre unmittelbar begleitet hatte, gab einen kurzen Überblick über die Geschichte des KJR.
Vielfalt statt Gleichschaltung
Noch immer kümmert man sich um die Organisation der Jugendarbeit im Sinn einer demokratischen Selbstverwaltung ohne jede staatliche Einflussnahme. Den Grundstein dafür hatte einst die amerikanische Militärregierung gelegt, die schnell erkannte, dass ein demokratischer Wiederaufbau in Deutschland ohne Jugendarbeit nicht möglich wäre. Schließlich prägt Jugendarbeit junge Leute und ihr Denken für das ganze weitere Leben. Das hatte das Dritte Reich mit Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädchen ebenso deutlich wie verhängnisvoll gezeigt. Die Zielrichtung war für die Amerikaner also klar: Jugendarbeit braucht Struktur und Organisation, aber nie mehr gleichgeschaltet, sondern bunt und vielfältig.
Der Jugendring wurde damit gewissermaßen zu einem festen demokratischen Kern in einer Gesellschaft, die sich vom geistigen Erbe des Dritten Reiches nur langsam freimachen konnte. So erzählte Pletzer, dass noch 1958 der Kreisheimatpfleger den damaligen Bad Aiblinger Kreisjugendring als „Tarnorganisation zur Verbreitung und Vertiefung artfremder und antiheimatlicher Auffassungen“ bezeichnet hatte – man beachte die Wortwahl.
Dabei ging es den Aktiven damals gar nicht um Politik um der Politik willen, sondern in erster Linie um den Versuch, die Situation der jungen Leute und damit auch die der Gemeinschaft, in der sie leben, zu verbessern. Das war und ist nie abgehoben, sondern immer handfest. Bis in die 60er-Jahre hinein, so berichtete Pletzer, ging es um Jugendnot und Jugendschutz. Schon früh setzte man sich aber auch für die Völkerverständigung ein, indem man Jugendaustausch mit Städten in ganz Europa organisierte, nicht zuletzt mit Israel.
Aktuell bemüht man sich zum Beispiel darum, Vereine und Schulen zusammenzubringen. Nicht nur um die Schulbildung über den Tellerrand des Lehrplans hinaus zu erweitern, sondern auch, um den Vereinen den Zugang zum Nachwuchs zu ermöglichen. Denn die Vereine sind die Orte, an denen man gemeindliches Miteinander nicht abstrakt, sondern mit Haut und Haar erleben kann.
Dabei, so Pletzer, handele es sich keineswegs nur um persönliche Befindlichkeiten, der Kreisjugendring sei hier vielmehr wieder einmal ganz nah dran an den Erfordernissen der Zeit: Gemeinden, die es schaffen, junge Mitbürger an sich zu binden, durch sie sogar Zuwachs bei den ehrenamtlichen Aktivitäten zu bekommen, haben in Zeiten des Älterwerdens unserer Gesellschaft mittlerweile einen, wie es so schön heißt „harten“ Standortfaktor auf der Habenseite. Oder, wie es Pletzer direkt an die zahlreichen Gäste aus Kommunal- aber auch Landespolitik gewandt formulierte: „Wenn ihr Wahlen gewinnen wollt, kümmert Euch um die Senioren. Wenn Ihr die Zukunft gewinnen wollt, kümmert Euch um die Jugend.“ Ein Appell, der durchaus befolgt wird, beispielsweise vom Landkreis Rosenheim. Hier höre man nie ein „Muss das sein?“, sondern so gut wie immer ein aufmunterndes: „Nur zu, macht nur.“
Seinen Festvortrag beendete Pletzer mit einigen Zitaten aus der Satzung des Bayerischen Jugendringes. Hieraus nur zwei Sätze: „Notwendige Auseinandersetzungen führen wir in offener Weise unter Achtung der Überzeugung und der Ehre des anderen“ und „Damit zeigen wir weiterhin gemeinsam Haltung“. Vielleicht ist ja darin das Geheimnis der auch nach siebzig Jahren ungebrochenen Jugendlichkeit des KJR zu sehen.