Nach Ausschreitungen in Flüchtlingsunterkunft in Waldkraiburg

„Stufe der Eskalation ist schockierend“

von Redaktion

Zu tumultartigen Ausschreitungen kam es am Mittwoch in der Erstaufnahme-Dependance in Waldkraiburg. Sie spielten sich in drei Wellen ab. Einen traurigen Höhepunkt erreichte die Eskalation am Abend, als es unter Asylbewerbern zu einer Messerstecherei kam.

Waldkraiburg – Das Opfer, ein 29-jähriger Bewohner, wurde mit einer Stichverletzung am Oberkörper in ein Krankenhaus geflogen. Lebensgefahr bestand nach Polizeiangaben nicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes.

In der Erstaufnahme-Dependance in der Aussiger Straße, in der momentan 332 Menschen untergebracht sind, war es am Mittwoch zu Tumulten und Auseinandersetzungen gekommen, die nur mit erheblichem Polizeieinsatz zu bewältigen waren. Am Abend stürmten die Einsatzkräfte das Gebäude. Am Ende gab es fünf Verletzte.

Was war geschehen, dass sich die Situation so hoch schaukelte und 150 Einsatzkräfte anrücken mussten?

Stein des Anstoßes waren Kühlschränke, die am Vormittag aus den Zimmern der Flüchtlinge auf Anweisung der Regierung entfernt werden sollten. Elektrische Geräte sind in den Zimmern aus Brandschutzgründen nicht erlaubt (siehe Erklärung der Regierung). Kabel und Geräte, können leicht Fluchtwege versperren.

Zeugen berichten, dass manche Bewohner die Kühlschränke umfunktioniert hatten, um ihre Räume zu kühlen. Das könne durch Überhitzung der Aggregate zu Brandgefahr führen.

In der Einrichtung hatte die Regierung den Schritt mit Schildern angekündigt. Einrichtungsleitung und Sicherheitsdienst veranlassten dann die Konfiskation. Bei der Begehung war eine junge Frau nicht einverstanden. Gemeinsam mit weiteren Bewohnern sorgte die 24-Jährige für Unruhe. Diese erste Welle der Aufregung konnte die Polizei Waldkraiburg mit der Unterstützung benachbarter Dienststellen zunächst beruhigen, heißt es im Pressebericht des Präsidiums.

Die Unruhestifterin sollte vorsichtshalber in eine andere Unterkunft verlegt werden. Als sie das am Nachmittag erfuhr, sei die Frau ausgerastet und es zu massiven Ausschreitungen gekommen.

Die eingesetzten Beamten wurden mit Steinen und Flaschen angegriffen. Im Gebäude kam es zu diversen Sachbeschädigungen, unter anderem wurden Feuerlöscher durch die geschlossenen Fenster des Treppenhauses geworfen, der Feueralarm wurde offensichtlich mutwillig ausgelöst.

So holte die Polizei Verstärkung. Mit einem starken Aufgebot von Polizeipräsidium, Bereitschaftspolizei und Bundespolizei gelang es, die zweite Welle der hochgekochten Gemüter abzukühlen. Die Frau, die für den Tumult gesorgt hatte, wurde mit richterlicher Bestätigung in Gewahrsam genommen.

Am Abend heizte sich die Stimmung unter den Bewohnern jedoch erneut auf. Es kam zu heftigen Streitereien, bei denen auch Messer zum Einsatz kamen. Dabei erlitt der 29-jährige Asylbewerber die Stichverletzung.

Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes bekam am rechten Unterarm einen Schnitt ab. Sein Kollege hatte „ein Riesen-Massl, weil er eine Schutzweste trug. Nur darum blieb er unverletzt“, so Polizeipräsidiumssprecher Jürgen Thalmeier. Drei Bewohner mussten mit leichten Verletzungen ambulant behandelt werden. „Um die Verletzten raus zu bringen, wurde das Gebäude geräumt. Die friedlichen Leute durften dann wieder rein“, so Thalmeier weiter.

Ein mutmaßlicher Tatverdächtiger wurde festgenommen, drei weitere Bewohner kamen vorläufig in Gewahrsam. Den Gerüchten, eine Abschiebung sei in Waldkraiburg völlig aus dem Ruder gelaufen, tritt der Polizeisprecher entgegen: „Eine Abschiebung stand nicht im Raum. Die Verlegung der Frau brachte die Situation zum Eskalieren.“

Wie geht es weiter? Dazu Polizeivizepräsident Harald Pickert: „Für uns hat der Schutz der überwiegend friedlichen Bewohner der Unterkunft oberste Priorität. Gewaltexzesse wie am Mittwochabend in Waldkraiburg werden wir in keinster Weise dulden.“ In engem Austausch mit der Regierung von Oberbayern werde man das weitere Vorgehen in der Unterkunft abstimmen.

Waldkraiburgs Bürgermeister Robert Pötzsch traf sich am Donnerstag mit Vertretern der Polizei, der Erstaufnahmeeinrichtung und der Regierung von Oberbayern. „Nachdem es wiederholt zu Einsätzen in der Erstaufnahmeeinrichtung gekommen ist, fordere ich einen runden Tisch, an dem an einer dauerhaften Lösung sowohl für die Bewohner wie auch die Waldkraiburger Bürger gearbeitet wird“, so Pötzsch.

Hubert Aiwanger, Landes-Chef der Freien Wähler, fordert schnelle Konsequenzen für die Randalierer. Wer so agiere, müsse das Land verlassen. Zweiter Bürgermeister Richard Fischer war am Mittwoch in seiner Funktion als Vorsitzender des Arbeitskreises Asyl am Tatort. Nachdem die Einrichtung vorübergehend geräumt wurde, kümmerte er sich mit seinem Team um die Mütter und Kinder aus der Unterkunft, die verängstigt waren und mit Getränken oder Babynahrung versorgt wurden.

„Diese Stufe der Eskalation ist schockierend und einzigartig in ihrer Form“, so Fischer. Er kritisierte, dass die Regierung von Oberbayern, die Kommunen allein lasse; mehr Unterstützung sei hier dringend nötig. Das Vorgehen der Einsatzkräfte lobte er als professionell und deekalierend.

„Einige können sich nicht benehmen“

Nach den Vorkommnissen in der Flüchtlingsunterkunft waren die Anwohner in Waldkraiburg gestern schockiert bis verärgert. „Müssen wir uns sowas gefallen lassen?“, fragt eine Frau (72). Sie kritisiert die unkontrollierte Einreise der Migranten und die Unfähigkeit, die deutsche Gastfreundschaft zu würdigen. „Ich würde gerne einen Schweigemarsch als Zeichen gegen die Randalierer machen. Aber das geht nicht, weil man dann ja extreme Gruppen anzieht, rechte wie linke.“ Wer etwas sage, werde selbst auch gleich in die rechte Ecke gestellt, dabei habe sie nichts gegen die wirklich Schutzsuchenden.

Ein junger Familienvater, Bernhard Hermann, wohnt mit seiner Tochter und seiner Frau vis-a-vis der Erstaufnahme. Oft bekomme er Ärger und Geschrei mit, oder dass von jungen Männern Alkohol konsumiert werde und man häufig Sirenen höre: „Da brauchst du dein Kind nicht zum Mittagschlaf hinlegen bei dem Lärm.“

Gefährlich sei es geworden, als Gegenstände aus den Fenstern geflogen kamen. Flüchtlinge hätten auch Dinge auf die Straße geworfen. Schlimm sei die Situation auch für Asylsuchende mit kleinen Kindern. „Die leiden auch darunter, dass bestimmte Männer sich nicht benehmen können.“

Erich Pauly, pensionierter Offizier: „Überall hört man die Unzufriedenheit der Anwohner. Nachts können sie nicht schlafen, weil es so laut ist.“ Der 71-Jährige sagt zu den Tumulten: „Es gibt Punkte, die darf man nicht tolerieren.“ Man müsse die Sorgen der Menschen ernst nehmen und die CSU nun anpacken lassen. „Sonst schiebt man die Leute der AfD zu.“ kle

Stellungnahme der Regierung

Die Regierung von Oberbayern ist beteiligt an der Ursachenermittlung für die Ausschreitungen und steht in engem Kontakt mit Polizeipräsidium, Stadt Waldkraiburg und Sicherheitsdienst. „Als Sofortmaßnahme verstärken wir den Sicherheitsdienst von sechs auf zehn Personen rund um die Uhr“, so Dr. Martin Nell, Pressesprecher der Regierung.

Die Kühlschränke – 350 waren es insgesamt – wurden bereits seit Herbst 2017 sukzessive aus der Einrichtung entfernt. Weil es sich einst um ein Wohnheim für Umschüler handelte, gab es in den Zimmern überhaupt noch welche, so Nell. Jedoch seien größere elektronische Geräte auf den Zimmern von Asyl-Unterkünften aus Brandschutzgründen generell nicht erlaubt. An den Steckdosen in den Zimmern hängen oft Mehrfachstecker, Verlängerungskabel oder Handyladekabel und oft noch Herdplatten. Das überlaste die Anschlüsse und könne Fluchtwege versperren. Die Entfernung der Kühlschränke habe man möglichst verträglich umsetzen wollen, so Nell – zum Beispiel, wenn es ohnehin einen Bewohnerwechsel gab. Anfang dieser Woche waren es noch 55 Geräte. Es sei zum Streit zwischen den Bewohnern um verbliebene Kühlschränke gekommen, woraufhin die restlichen entfernt wurden. Der Sprecher erklärt, dass das Gesetz für die Aufnahmeeinrichtung das Sachleistungsprinzip vorgibt. Die Bewohner kochen nicht selbst, sondern haben dreimal am Tag Vollverpflegung im Speisesaal. Zusätzlich gibt es Wasserspender auf dem Gelände. Sie brauchen also keine Kühlmöglichkeiten. kle

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