Prozessauftakt um Verkehrsunfall mit zwei Toten

„Diesmal war es gar kein Rennen“

von Redaktion

Das Gerücht, dass ein Autorennen zum Tod zweier junger Frauen vom Samerberg geführt hat, bestätigte sich am ersten Tag des Prozesses gegen einen 24-jährigen Mann aus Kolbermoor nicht. Vielmehr scheint der Hauptangeklagte, der aufgrund einer Erkrankung fehlte, die Schuld an der Tragödie, die zwei Familien zerstört hat, zu tragen.

Rosenheim – Wie ein Schulbub, der eine Strafpredigt von seinem Lehrer erwartet, saß der 24-jährige Mann aus Kolbermoor neben seinem Anwalt vor dem Schöffengericht in Rosenheim: Die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf die Tischplatte gerichtet, verfolgte er die Ausführungen der Staatsanwältin Dr. Kerstin Spiess, die den Angeklagten unter anderem für die fahrlässige Tötung zweier junger Frauen, 15 und 21, vom Samerberg mitverantwortlich machte, nahezu teilnahmslos.

Vorgeworfen wurde dem Kolbermoorer, der am 20. November 2016 mit seinen Freunden nach eigenen Angaben nur zu McDonald’s fahren wollte, einem 23-jährigen Ulmer, der auf der Miesbacher Straße in Rosenheim mit seinem VW Golf zum Überholen angesetzt hatte, keinen Platz zum Einscheren gelassen zu haben. Der Ulmer war anschließend frontal in den Nissan einer 21-jährigen Samerbergerin gekracht, wobei die Fahrerin am Unfallort starb. Ihre 15-jährige Mitfahrerin erlag wenige Stunden später im Krankenhaus ihren Verletzungen (wir berichteten).

Schnell machten Gerüchte die runde, Tuningfans hätten sich auf der Strecke ein Rennen geliefert. Ein Gerücht, das sich zunächst erhärtete, nachdem ein Polizeibeamter im Zeugenstand den Kolbermoorer schwer belastete. So habe der Golf-Fahrer, der erkrankt ist und nicht am Prozess teilnehmen konnte, bei der Vernehmung das Wort „Rennen“ in den Mund genommen und zudem der Kolbermoorer gegenüber seinem Beifahrer den Überholvorgang des Unfallfahrers mit den Worten „Der wird schon kapieren, dass er nicht vorbei kommt“ kommentiert.

Richter kritisiert Polizeiarbeit

Eine Aussage, die den Vater eines der Opfer auf der Bank der Nebenkläger erzittern ließ, hatte er doch in diesen Worten – wie viele der Zuhörer aus dem Verwandten- und Freundeskreis der verunglückten Frauen – ein Schuldeingeständnis herausgehört. Bis Richter Christian Merkel durch das Verlesen der ganzen Passage aus der Aussage das Zitat ins rechte Licht rückte. So gab der Angeklagte damals zu Protokoll, dass er gedacht habe, der Golf-Fahrer wollte hinter ihm wieder einscheren. Um ihn dabei nicht zu behindern, sei er, nachdem er mittlerweile auch den entgegenkommenden Nissan bemerkt habe, letztlich nicht vom Gas gegangen.

Auch in puncto Rennen hakte Merkel bei dem Beamten nach: „Was macht Sie so sicher, dass es ein Rennen war?“, fragte der Richter, und ergänzte: „Haben Sie außer der Angabe des Golf-Fahrers einen weiteren Hinweis dafür?“ Eine Frage, die der Beamte kleinlaut verneinte. Was wiederum den Anwalt des Angeklagten, Harald Baron von Koskull, auf die Palme brachte: „Es ist schon erwähnenswert, in welcher Art und Weise hier ermittelt worden ist.“

Gegen ein Autorennen sprächen nach Einschätzung von Koskull zudem Nachrichten aus einer Whatsapp-Gruppe mehrerer Tuning-Fans, der auch der Angeklagte sowie seine Freunde angehören. So hatte der Beifahrer des Kolbermoorers nach dem Unfall den Satz „Und dabei war es diesmal gar kein Rennen“ an die Gruppe geschrieben. Ein entlastendes Zitat, das jedoch bei den Zuhörern für Kopfschütteln sorgte.

Ebenso wie die vielen Erinnerungslücken, auf die sich die beiden Beifahrer der BMWs beriefen. Bei der Schilderung des Unfalls gab es zwischen den Freunden des BMW-Fahrers und der Beifahrerin des Golfs, die ebenfalls schwer verletzt worden war und immer noch unter den gesundheitlichen Folgen leidet, kaum Abweichungen.

So schilderte die 41-Jährige, dass sie kurz vor dem verhängnisvollen Fahrmanöver von den beiden BMWs überholt worden seien, diese aber „ganz normal“ fuhren, keinesfalls „wie Rowdys“. Auch der Golf-Fahrer sei zunächst normal weitergefahren, hätte dann aber plötzlich in der Kurve zum Überholen angesetzt. „Für mich war es unbegreiflich, dass er jetzt überholt“, sagte die 41-Jährige, die noch den „starren Blick“ des Golf-Lenkers bemerkte, bevor es „rund um mich schwarz wurde.“

Der Prozess gegen den 24-Jährigen wird am 13. Oktober fortgesetzt. Die Familien der Opfer hoffen dann auf weitere Antworten rund um die Tragödie. „Ich will einfach, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, sagte die Mutter der verunglückten 15-Jährigen, die ihre schwer verletzte 20-jährige Tochter, die ebenfalls den Prozess verfolgte, immer wieder fest in den Arm nahm. Dabei hatte sie selbst oft mit den Tränen zu kämpfen, beispielsweise, als die Staatsanwaltschaft die Verletzungen der Opfer schilderte.

Die Mutter des 21-jährigen Opfers, die den Prozess gefasst verfolgte und sogar noch versuchte, der Tochter der Nachbarsfamilie, die den Unfall überlebt hatte, Trost zu spenden, richtete einen Appell an die Angeklagten: „Eine irdische Gerechtigkeit wird es nicht geben. Ich erwarte aber, dass die Menschen die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.“

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