Bundestagswahl: REdaktion spricht mit Vier Ex-Parlamentariern

„Seehofer wird wohl gehen müssen“

von Redaktion

Der Katzenjammer bei CDU/CSU und SPD ist nach der Bundestagswahl groß. Vier politische „Urgesteine“ aus der Region äußern sich auf Nachfrage der OVB- Heimatzeitungen zum Wahlergebnis: Was empfehlen Sie Ihrer Partei, um die Bürger wieder „mitzunehmen“? Wie beurteilen Sie die Regierungsbildung und wie die Seehofer-Frage?

Rosenheim – Walter Schlosser, SPD, war von 1974 bis 1990 für den Wahlkreis Rosenheim Landtagsabgeordneter und sechs Jahre lang, von 1990 bis 1996, Dritter Bürgermeister von Rosenheim.

Für ihn ist klar: „Die Wahlverlierer stehen eindeutig fest, und die Gründe dafür waren noch nie so offensichtlich wie jetzt – Zuwanderung und Sicherheit. Die damit verbundenen Ängste in der Gesellschaft wurden nicht aufgegriffen.“ Die Politik müsse sich ändern, sagt Schlosser und hüllt sich in Schweigen, was das „Wie“ angeht. Dafür gebe es genug schlaue Experten und Klausurtagungen.

Bezüglich der Regierungsverhandlungen von Unionsparteien, FDP und Grünen sieht er in beiden Fällen zwei ausschlaggebende Kriterien für ein Zustandekommen oder aber ein Scheitern: „Macht und Unvereinbarkeit von Positionen und wie man damit umgeht.“ Zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage, Stichwort Obergrenze? Er werde aber keinen Roman erzählen, warum die vier Parteien nicht zusammenpassen. Würde er aus Sicht der SPD-Parteibasis doch noch Verhandlungsbereitschaft für eine Große Koalition empfehlen oder Neuwahlen für das bessere Mittel halten? Seine Haltung: Kein Kommentar.

Der ehemalige CSU-Landtagsabgeordnete Sepp Ranner aus Bad Aibling nimmt indes kein Blatt vor den Mund: „Das Hick-Hack zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer ist schädlich.“ Zwei Sturköpfe würden Reibung erzeugen, woraus Wärme entstehe, welche Feuer entzünde. Ungut.

Auch zur Personalfrage um Horst Seehofer als Parteivorsitzenden hat Ranner eine klare Meinung: „Die CSU hat hervorragende Persönlichkeiten“, sagt er deutungsvoll und nennt ohne Wertigkeit Manfred Weber (seit 2014 Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei, EVP), Erwin Huber (Parteichef von 1994 bis 2008), Joachim Hermann (Bayerns Innenminister), Markus Söder (Bayerischer Finanzminister) und Ilse Aigner (Bayerische Wirtschaftsministerin). Mit Vernunft und Bedacht müsse die Politik jetzt handeln und sich um das kümmern, was sie nicht getan habe: „Sich einsetzen für den kleinen Mann, den Arbeiter, die Krankenschwester“.

Einer Jamaika-Koalition (Unionsparteien, Grüne, FDP) räumt er Möglichkeiten ein. Derzeit lege jede Fraktion ihre Linie vor, um sich dann zu bewegen. „Zum Beispiel die Grünen. In der Vergangenheit haben sie sich bereits weg von der Fundamentalopposition bewegt.“

Ranner gehört seit 42 Jahren der CSU an und saß von 1990 bis 2008 im Bayerischen Landtag.

Der CSU-Parteivorsitz bewegt auch Wolfgang Zeitl-mann. Er gehörte von 1987 bis 2005 als CSU-Mitglied dem Bundestag an, unter anderem war er Mitglied im Innenausschuss. Ein Rücktritt von Horst Seehofer als CSU-Chef vor dem Parteitag im November sei müßig. „Dann aber müssen die, die in vorderster Reihe reiten, einen anderen in den Sattel heben“, bekräftigt er und räumt zugleich ein: „Über die Alternative bin ich auch nicht beglückt“, sagt er mit Blick auf Markus Söder.

Das Wahl-Fiasko für seine Partei führt Zeitlmann darauf zurück, dass die CSU brachial AfD-Themen aufgegriffen und Monate lang die CDU-Spitze kritisiert hat, um dann kurz vor der Bundestagswahl genau diese CDU-Spitze zu empfehlen. „Da hat man die eigene Basis auf die Bäume gejagt“, urteilt er. „Oberstes Prinzip ist die Einheit der Unionsparteien. Dieser Spagat ist jetzt misslungen.“ Der Bildung einer Jamaika-Regierung räumt er Chancen ein: „Der Zwang, sich zu einigen, ist gewaltig. Und Neuwahlen sind das falsche Instrument.“

Georg Bamberg gehörte dem Bundestag von 1981 bis 1990 an. Er ist seit fast 55 Jahren Mitglied der SPD. „In dieser Zeit habe ich 20 Neuanfänge erlebt, nach jeder Wahl. Und nach jeder Wahl hat die SPD weitere zwei Prozent verloren“, konstatiert er. Die Rosenheimer Situation ist ihm zufolge ein Spiegelbild der bundesweiten Lage. Er selbst holte einst um die 38 Prozent in seinem Wahlkreis, jetzt bewegt sich die SPD hier um elf Prozent. Die Anzahl der bayerischen Bundestagsabgeordneten sei von einst 31 auf nun 18 gesunken. Wenn also jemand am Boden liege wie die SPD, dann sei die Neuordnung eine Frage der Glaubwürdigkeit – „inhaltlich und personell“. Das beste Programm nutze nichts ohne die entsprechenden „Köpfe“. Denn: „Personen sind Programm.“

Die Oppositionsrolle der SPD bewertet Bamberg nicht als Staatsverweigerung, sondern als das einzig Richtige – ohne diesen Schritt begehe die SPD „Selbstmord“. Eine Opposition sei wichtig, da sie nicht per se gegen alles stehe, sondern kontrolliere und konstruktiv kritisiere und einer AfD-Fraktion nicht die Führungsrolle überlasse.

Worauf soll sich seine Partei besinnen, um wieder zu punkten? Da greift Bamberg auf eine Aussage von SPD-Urgestein Kurt Schumacher zurück: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“

Kommt die Jamaika-Koaliton zustande? Ja, sagt der Befragte, geht aber davon aus, dass sie nur zwei Jahre hält, um dann Neuwahlen den Weg zu ebnen. Und die Seehofer-Debatte? „Das Söder-Lager drängt, Seehofer wird wohl gehen müssen.“

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