„Vivat das elende Brautpaar!“

von Redaktion

Riedering-Söllhuben – Zu Großereignissen für die Geschichtsbücher arten heutzutage noch immer royale Hochzeiten in den Königshäusern Europas aus. Nicht von minderer Bedeutung ist jedoch die Hochzeit des Jahres 2020 im beschaulichen Söllhuben: Lisbert Vollinger und Odlgundis Furzner sagen „Ja“. Die allerorts verachteten und für nicht ganz gescheit angesehenen Brautleute Lisbert Vollinger und Odlgundis Furzner werden sich am 8.Februar das Jawort geben.

Nach über 30 Jahren veranstaltet der Trachtenverein Söllhuben seine zweite Bettelhochzeit. Los geht es ums „12-Uhr-Läuten“ in der Ortsmitte von Söllhuben.

Die Bettelhochzeit ist ein alter bayerischer Faschingsbrauch, der bis heute in ländlichen Gebieten im Süden Bayerns üblich ist.

Früher feierten die Dienstboten und einfachen Leute, für die Faschingsbälle unerschwinglich waren, gemeinsam.

Große Braut und kleiner Bräutigam

Die „Braut“ ist möglichst groß und maskulin, der Bräutigam deutlich kleiner. Schönheit ist keine Grundvoraussetzung. Auf dem Misthaufen werden die beiden bis zum Aschermittwoch „verheiratet“.

Pfarrer, Bürgermeister, Erbonkel, schwarzes Schaf oder „Verflossenen“ – die Zuschauer schlüpfen in alle erdenklichen Rollen als Hochzeitsgäste, je verrückter, desto besser.

Zu einer vollständigen Bettelhochzeit gehören traditionell ein Hochzeitszug mit geschmücktem Wagen, die Trauungszeremonie – meist auf dem Misthaufen – mit närrischen Ansprachen und die anschließende Hochzeitsfeier.

Kritik an
der Obrigkeit

Die Bettelhochzeit war auch eine gewisse Auflehnung des niederen Standes der Dienstboten und Mittellosen, die sich im Schutze der faschingshaften Gaudi über die Obrigkeiten wie Bürgermeister, Pfarrer, den Adel oder gar Herrscherhäuser lustig machten.

Die Vorbereitungen des Trachtenvereins Söllhuben laufen auf Hochtouren und sind zum Teil schon abgeschlossen.

Auf vier Partien waren im Auftrag des Hochzeitsladers Simandl Gscheidmayer („Grattler von Parnsberg“) die Ladbeauftragten unterwegs, um zu diesem Spektakel eine illustere Gesellschaft einzuladen.

Der Ablauf entspricht, so erklärt es Susanne Stocker vom Trachtenverein, in etwa den Bräuchen und Gepflogenheiten einer Bauernhochzeit vor etwa 100 Jahren.

„Damals trug man zu diesem Anlass keineswegs die alltägliche, trachtlerische Bekleidung, sondern das beste Gewand aus den erlesensten Stoffen damaliger Zeit“, so Susanne Stocker. Deshalb ist die Garderobe für die Hochzeitsgesellschaft auch „schwarz/weiß“ vorgesehen.

Mit komischen
Anstrich

Die übrige Feier gestaltet sich dann „etwas faschingsmassig verdraht, leger und locker und mit einem komischen Anstrich“.

Ja, es gibt einen Hochzeitszug mit Hochzeitskutsche, Kammerwagen mit der Mitgift der Braut sowie der ganzen narrischen Hochzeitsgesellschaft. Im Anschluss findet ein „Jungfrauenlauf“ statt.

Auch ein klassisches Hochzeit-Gruppenfoto wird geschossen. Die geladenen Gäste ziehen dann feierlich in den Saal beim Gasthaus zur Post und feiern das Brautpaar gebührend. Auch für die Zuschauer, die gekommen sind, der Verehelichung auf dem Misthaufen in der Ortsmitte beizuwohnen, geht es weiter mit der Feierei.

Auf dem angrenzenden Parkplatz des Wirts findet ein Faschingstreiben statt, bei dem die Gäste ausgelassen auf das Brautpaar anstoßen können, getreu dem Motto „Vivat das elende Brautpaar!“

Artikel 19 von 30