Stephanskirchen – Neujahrskonzert in Stephanskirchen: Wenn das Publikum auch in diesem Jahr nach der dritten Zugabe glücklich und erfüllt nach Hause ging, tat es das in dem Bewusstsein, dass „sein“ Ballorchester einfach ein toller Klangkörper ist. Und die souverän dargebotene Bandbreite, die von großen sinfonischen Klassikern über berühmte Filmmusiken bis zu Meilensteinen des Rocks reicht, wird mittlerweile für schlicht selbstverständlich gehalten.
Dabei ist sie es bei näherem Hinschauen nicht. Dirigentin Regina Huber steht, wie sie sagt, jedes Jahr vor der Frage: Was kann ich mit der Besetzung, die ich habe, spielen, beziehungsweise: Wie kann ich das Stück arrangieren, sodass es auch in unserer Besetzung überzeugt? Am einfachsten seien da noch die Melodien aus dem Umfeld der Strauss-Dynastie, denn auch das Orchester von Johann Strauss Vater und Sohn war kein Riesenapparat, es war von seiner Größe und seiner Besetzung genau auf die eigenen Stücke hin zugeschnitten.
Auftakt mit dem
Radetzkymarsch
„Das passt für uns recht gut“ sagt Regina Huber, was wichtig ist, denn Walzer wie die „Frühlingsstimmen“ von Johann Strauß Sohn dürfen bei keinem Neujahrskonzert fehlen. Schließlich ist das berühmte Wiener Neujahrskonzert schon so eine Art Vorbild für die Stephanskirchener, weshalb auch der Radetzkymarsch in jedem Jahr ein fester Bestandteil ist. Und das Ballorchester spielt so, dass selbst die, deren Herz an dieser Musikrichtung etwas weniger hängt, für Momente verstehen, was der Begriff
„Walzer-Seeligkeit“ meint. Manchmal kommt bei der Auswahl der Werke auch der Zufall zu Hilfe. So wie in diesem Jahr, als Ernst Hollweck, „die Oboe des Orchesters“ Regina Huber im vergangenen Sommer davon erzählte, dass er sich jetzt ein Englisch Horn zugelegt habe. Das war, so sagt sie, der letzte Anstoß, sich doch einmal an das Largo aus Antonin Dvorák’s „Sinfonie aus der neuen Welt“ zu wagen, denn damit sei ein für das Werk wichtiges Soloinstrument vorhanden gewesen.
Ihre Vorsicht gegenüber diesem Werk erklärt Regina Huber so „Dieses Largo ist ein Stück, das eigentlich eingängig zu hören ist, nicht umsonst kennt es ja fast jeder, für die Spieler aber ist es ungeheuer anspruchsvoll“. Schon rein technisch, sei das so, weil viele Tonartwechsel vorhanden seien, dazu komme das Problem bei der Interpretation: es sei durchaus eine Herausforderung bei diesem getragenen Stück einen Spannungsbogen zu erhalten. Und noch eins komme dazu, meint die Dirigentin: „Wir spielen bei allen Stücken ja nicht im luftleeren Raum“ Denn sie wählt ganz bewusst vor allem solche Werke aus, die in irgendeiner Form bekannt sind. Das Neujahrskonzert soll in erster Linie auf unbeschwerte Art unterhalten, das geht am einfachsten, wie sie meint, wenn die Zuhörer bei den Stücken nicht vor völlig Neuem stehen, sondern sich sagen können „Ach, das kenn ich doch“. Verstärkt wird der Wiedererkennungseffekt noch durch die Moderation von Regine Mrotzek und Manfred Panhans, die zu jedem Stück eine kurze, launige Hinführung geben.
Die Schattenseite: Man steht gewissermaßen in Konkurrenz zu dem, was das Publikum im Ohr hat, und das seien, meint Regina Huber, ja in der Regel Einspielungen von großen Profiorchestern.
Von daher ist es ein Riesenkompliment, wenn Zuhörer nicht nur nach Dvorák’s Largo, sondern auch nach der Ouvertüre aus Verdis Nabucco sagen: „Diese Melodien sind doch einfach immer wieder wunderschön“ und das Ballorchester damit auf eine gemeinsame Stufe „mit den ganz Großen“ stellen.
Ähnlich ist es bei den Filmmusiken: Sie sind gut bekannt, doch die Originale wurden mit Orchestern in einer Besetzungsgröße aufgenommen, bei der Geld und Aufwand keinerlei Rolle spielten.
Das erfordert viel Anpassungsarbeit, die Regina Huber aber gerne auf sich nimmt, denn ihr persönlich liegen die Filmmusiken sehr am Herzen. Vor allem die Musik aus „Lawrence from Arabia“, die in diesem Jahr neben „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ auf dem Programm stand wollte sie, wie sie sagt, immer schon mal spielen. „Ich find die einfach total schön“ – eine Einschätzung, die das Publikum offenbar voll und ganz teilte. Viel mehr Aufwand als man denkt, steckt auch in den Adaptionen von Rock-Klassikern, die zum festen Repertoire jeden Neujahrskonzerts gehören. Denn hier, so sagt die Dirigentin, wandert man auf einem schmalen Grat: Man möchte sich vom Original ja nicht soweit entfernen, dass es und seine Ursprungsstimmung nicht mehr erkennbar ist, dennoch muss man dem Stück in seiner Orchesterfassung eigene Füße geben. Das ist vor allem dann nicht leicht, wenn wie bei „A whiter shade of pale“ von Procul Harum ein entscheidendes Instrument – die Hammondorgel von Matthew Fisher – durch andere ersetzt werden muss. In diesem Fall war es das Waldhorn, das von den Holzbläsern gewissermaßen als Background-Chor unterstützt wurde.
Dazu die Streicher und eine Harfe, die dem Ganzen noch mehr Anklang an Bach und damit fast jenseitige Schönheit verliehen, eine Stimmung, die durch den Gesang von Robert Schmid wieder die Bodenhaftung bekam, die ein Rock-Klassiker haben muss.
„Bei mir bist
du schön“
Überhaupt Gesang: Erst zum zweiten Mal ein Teil des Neujahrsorchesters und schon nicht mehr wegzudenken sind die „Ballsirenen“ Manuela Fritz, Gertraud Fischbacher und Regina Huber. Mit ihnen zusammen zeigt das Ballorchester eine weitere Facette, die aber unbestreitbar zu seinen ganz großen Stärken gehört: Jazz und Swing. Stücke wie „Bounce me brother with a solid four“ oder „Bei mir bist du schön“ – beide durch die Andrew Sisters bekannt geworden – reißen einfach mit.
Und wenn dann selbst die hier nicht benötigten Streicher anfangen unwillkürlich mitzuswingen, kann sich dieser Stimmung im Saal wirklich keiner mehr entziehen. Die Stephanskirchener wissen einmal mehr: das Ballorchester ist ein Klangkörper, auf den sie einfach stolz sein können.jt