Wasserburg – „Als Raunächte, Rauch-, Inner- oder Unternächte werden jene mystischen, geheimnisumwobenen und sagenhaften Nächte zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige bezeichnet.“ Mit diesen Worten beginnt die Wasserburger Autorin Ilona Picha-Hörberth ihr neuestes Buch „Zeit-los“, in dem sie umfassend über mythologische Wurzeln und die aktuelle Bedeutung dieser sagenumwobenen Nächte zwischen den Jahren berichtet. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt sie deren Herkunft, Überlieferung und astrologische Zusammenhänge. Als Geschichtenerzählerin weiß sie von der Bedeutung der Märchen und ihrer heilsamen Wirkung, die sie auf Menschen haben können. „Gute Märchen moralisieren nicht, sondern zeigen den Zuhörern oder Lesern Lösungsmöglichkeiten auf“, schwärmt die Erzählerin. Märchen könnten zeigen, dass man nicht dem Leben ausgeliefert ist, sondern dass es immer verschiedene Möglichkeiten gebe.
„Das Wissen um alte Geschichte liefert uns einen Schlüssel dazu, wie wir miteinander umgehen sollten“, glaubt sie ganz fest. Über Geschichten würden Gefühle transportiert und Erinnerungen geweckt. „Als die Menschen noch nicht schreiben konnten, hat man Informationen über das Erzählen von Geschichten ausgetauscht“, erinnert sie. Aus Südamerika und Afrika kenne sie diese Tradition heute noch. Dort sei die Akzeptanz der Geschichtenerzähler eine viel größere als bei uns.
Den modernen Hörbüchern hätten wir es in unserem Kulturkreis zu verdanken, dass heute wieder vermehrt Geschichten gehört würden. „Es muss nicht immer ein Film sein. Geschichten lassen Raum für eigene Bilder“, gibt sie zu bedenken. Doch es müssten auch gute Geschichten sein. Sie entstünden nicht von selbst.
Beispielsweise bei Märchen: Kein Symbol sei zufällig. Alles habe einen tieferen Sinn: Ob die Prinzessin in der Geschichte mit einem Kamm, einer Muschel oder einer Flöte ausgestattet ist, sei entscheidend. Die korrekte Verwendung der Symbole und Archetypen ist der Autorin wichtig. „Das Wissen um alte Geschichten liefert uns einen Schlüssel dazu, wie wir miteinander umgehen sollten“, erklärt sie.
Es ärgere sie manchmal, wenn sie sehen müsse, wie tiefe Symbole aus den Märchen in der heutigen Zeit abgeschwächt und mit Regenbogenfarben überzogen würden. Die eigentliche bedeutsame Botschaft ginge bei dieser Verniedlichung ganz klar verloren.
Ähnlich falsch verstanden würden auch manchmal die Raunächte. Ihrer wahren Bedeutung nach seien die Raunächte nie etwas anderes gewesen, als eine Zeit, in der die Räder stillstehen. In dieser Zeit gehe es nicht um ein „Tun“ sondern um ein „Sein“, beschreibt die Autorin in ihrem Buch.
Gerade in den letzten Jahren sei jedoch ein Boom entstanden, durch den die Raunächte regelrecht vermarktet würden. Aus der „Zeit der Stille“ sei eine „Zeit des Konsumierens“ geworden, klagt sie. „Die Menschen verlangen heute nach exakten Vorgaben und Vorschriften über die richtige Planung und Organisation des neuen Jahres.“ Nicht nur Manager wollten sich inzwischen optimieren. Personaltrainer hätten Hochkonjunktur und Leistung, Effiziens und Produktion sollten ständig und von jedem gesteigert werden.
Wer glaube, er könne sein Leben am Reißbrett durchplanen, der läge falsch. „So wie die Menschen früherer Zeit fest daran glaubten Gottesstrafen oder oder teuflisch-dämonische Verführungen durch richtiges Verhalten oder Ablasszahlungen an die Kirche vermeiden zu können, sind wir ‚aufgeklärten‘ Menschen heute – mehr denn je – davon überzeugt, unser Leben durch geistige Einstellungen und Glaubenssätze in eine von uns gewünschte Richtung drängen zu können“, warnt die Autorin. Solch ein Denken bürde den Menschen eine Verantwortung, die sie nicht tragen könnten.
Dem möchte Ilona Picha-Hörberth mit ihren Geschichten etwas entgegensetzen: „Spirituelle Wahrheiten beinhalten immer Bilder, die zum Leben dazugehören und helfen können“, erklärt sie. Bei ihren zahlreichen Lesungen und Führungen habe sie viel Bestätigung dafür bekommen. Jung und Alt, Männer und Frauen lauschten gleichermaßen gespannt ihren Geschichten. „Die Alten erinnern sich an früher, die Jungen finden sich darin wieder und entdecken Rituale, die sie zwar erlebt aber bisher nicht verstanden haben“, beschreibt sie die Rückmeldungen ihrer Zuhörerschaft. Die Geschichten verdanke sie ihrer Fantasie aber auch ihrem Wissen um Mythen und Märchen. Es sei eine Art Handwerk, gute Geschichten schreiben zu können, bestätigt sie. Man benötige Gespür und Sachverstand gleichermaßen.
Raunachtgeschichten seien immer schon etwas Besonderes gewesen. „Düster, sagenumwoben und geheimnisvoll waren sie immer schon“, beschreibt sie. Generations- und geschlechterübergreifend sei das Interesse gerade an diesen überlieferten Geschichten groß. In den sagenumwobenen Geschichten gehe es oft um den ewigen Kreislauf der Dinge, betont die Autorin. Manche Botschaft würde aber in der heutigen Zeit falsch verstanden. Eine alte Überlieferung besage beispielsweise, dass Träume der zwölf Raunächte das Schicksal in den Monaten des neuen Jahres offenbaren würden. Daraus sei die irrige Annahme entstanden, dass diese Nächte auch für die 12 Tierkreiszeichen stehen würden. Dem sei aber nicht so, widerspricht die Erzählerin vehement.
Die 12 Träume seien metaphorisch zu betrachten, denn egal, ob man die Raunächte ab dem 21. Dezember, der Wintersonnenwende, oder dem Heiligen Abend bis zu den Heiligen Drei Königen zählen würde, man komme nie auf 12. Die Zahl 12 sei als Sinnbild zu sehen für eine in sich abgeschlossene Ganzheit.
In ihrer Vorbemerkung zum Buch weist die Autorin ausdrücklich auch auf den ideologischen Missbrauch alter mythologischen Lehren hin, von dem sie sich deutlich distanziert. „Völkische und nationalistische Auslegungen mythologischer Zusammenhänge stehhen immer im tatsächlichen Widerspruch zur ganzheitlichen Aussage spiritueller Lehren“, betont sie.
In der „staden Zeit“ gehe es nicht um vorsätzliches Handeln, sondern einfach nur ums Sein. Die Raunächte seien die Zeit, sich der Ganzheitlichkeit zu erinnern und die Zugehörigkeit zur kosmischen Ordnung wieder zu erfüllen. Um die Magie der Raunächte zu erfahren, „ist nichts anderes erforderlich, als nicht nur von Stille zu sprechen, sondern sie wirklich zuzulassen und innezuhalten“. Bis zum 6. Januar, dem Dreikönigstag und der letzten Raunacht, empfiehlt sie, diese besondere Zeit auszukosten.