Spiegelblick in die Baumkronen

von Redaktion

Der ist jetzt aber nicht echt, oder? Der Blick der Drittklässlerin aus Vogtareuths Grundschule ist reichlich skeptisch. Der Borkenkäfer ist schon ganz schön gruselig. Ein Waldstück bei Vogtareuth wird heute zum Klassenzimmer: Die 3a und 3b haben Unterricht im Wald.

Vogtareuth – Nicht die Lehrer haben das Sagen, sondern Waldpädagogin Katharina Brändlein, denn dieser Waldtag ist eine Aktion der Baywa Stiftung, für die sich die Schule beworben hatte. Und das, was die Waldpädagogin den Kindern an diesem Vormittag zeigen möchte, ist, dass man vom Wald nur wenig weiß, auch wenn man ihn eigentlich zu kennen glaubt.

Deshalb verteilt sie ganz zu Anfang, kaum dass man den Wald betreten hat, Spiegel an die Kinder. Hält man die unter die Nase, sieht man den Wald völlig neu, glaubt, plötzlich auf dem Kronendach zu laufen, statt auf dem Boden. Wie intensiv die Täuschung ist, merkt man, wenn man auf ein Stück blanken Himmels stößt: „Da hab‘ ich gedacht, ich falle in ein Loch“, sagt ein Mädchen, als die Gruppe wieder im Kreis zusammensteht, immer noch beeindruckt vom Erlebnis.

In der Hauptsache aber soll es an diesem Vormittag darum gehen, für wie viele Lebewesen dieser neu gesehene Wald die Heimat ist. Das passiert im wahrsten Wortsinn spielerisch, denn am Anfang steht ein Ratespiel, bei dem ein Kind ein Foto von einem Tier auf seinen Rücken gepappt bekommt, es muss dann versuchen, durch geschickte Fragen bei einem Partner herauszufinden, wer ihm da im Nacken sitzt. Im Anschluss versuchen die Kinder, dem Lebewesen einen Lebensraum zuzuordnen.

Dazu hat Katharina Brändlein drei Äste auf den Boden gelegt, einer steht für einen lebenden Baum, einer für einen abgestorbenen, aber noch stehenden und einer für das Totholz, die umgestürzten und liegenden Bäume. Bei der Zuordnung sind die Kinder überraschend treffsicher, sie haben aus dem Unterricht, in dem der Wald immer wieder Thema ist, offenbar einiges mitgenommen und können das Wissen auch anwenden. Es genügt, dass ihnen die Waldpädagogin erklärt, dass der Kamelhalsfliege zum Beispiel Licht sehr wichtig ist, damit die Kinder wissen, das Bild gehört zum lebenden Baum und dort in den Kronenbereich gelegt. Verblüfft sind aber alle, einschließlich der begleitenden Lehrkräfte, wie viele Bilder da am Ende auf dem Boden liegen: der Wald – ein Lebensraum nicht nur voller Pflanzen, sondern auch voller Tiere, von denen man in der Regel kaum etwas sieht.

Dass der Borkenkäfer an diesem Vormittag einen besonderen Auftritt hat, nicht nur als Bild, sondern auch als vierzigfach vergrößertes Modell, liegt daran, dass der Höhepunkt des Tages eine Pflanzaktion ist. Ein Bereich, der wegen Borkenkäferbefalls gerodet werden musste, wird durch Erlen neu aufgeforstet und immer zwei Kinder zusammen dürfen einen „eigenen“ Baum pflanzen. Da muss der Boden aufgehackt werden und das überraschend tief, dann kommt vorsichtig der Setzling hinein, aufpassen, dass er auch schön geradesteht und dann die Erde wieder drauf, gut festgedrückt. Alle sind mit Feuereifer bei der Sache, gehen, wie es scheint, ganz und gar in ihrem Tun auf – und sehen es doch in einem größeren Zusammenhang. In einer Gruppe, die eng nebeneinander arbeitet, heißt es: „Wir machen jetzt das wirklich, wofür die anderen Kinder demonstrieren, wir tun die Umwelt schützen.“ Hier zeigen Neunjährige ein Reflektionsvermögen, das selbst die Rektorin der Schule, Claudia Decker, verblüfft, auch wenn sie aus den vielen anderen Umweltaktionen der Schule weiß, wie sehr Kinder von Umweltproblemen berührt werden. „Aktuelle Themen wie Klimawandel und Insektensterben kriegen sie nicht nur mit“, sagt sie, „die sind ihnen überraschend nah und die Kinder sind immer voll Begeisterung, wenn sie das Gefühl haben, selbst einen Beitrag zur Verbesserung leisten zu können“. Von daher ist sich Claudia Decker sicher, dass den Kindern viel von dem, was sie an diesem Vormittag über das Ökosystem Wald gehört haben, auch tatsächlich im Gedächtnis bleibt. Das Pflanzen, aber auch der Heimweg, bei dem Katharina Brändlein nicht den Forstweg nimmt, sondern quer durch den Wald führt, teilweise auch im Gänsemarsch einem Rehwechsel durchs Unterholz entlang, schafft Erlebnisse, die den ganzen kleinen Menschen erfassen. „Und so ein Flow“, sagt Claudia Decker, „ist der Königsweg ins Gehirn, daran dockt sich alles, was man drumherum hört und erfährt, an.“

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