Der Süden ist uns um Längen voraus

von Redaktion

Brennerbasistunnel Arbeiten im Zeitplan – Fertigstellung 2027/2028 – Zehn Milliarden Euro Kosten – Südzulauf von Franzensfeste bis Verona

Franzensfeste/Südtirol – Der feine Duft von blühenden Magnolien liegt über Brixen. Die Sonne schickt ihre ersten wärmenden Strahlen, in den Cafés genießen die Gäste Cappuccino oder Eis. Nirgends fühlt sich Frühling so traumhaft gut an wie in Südtirol – zumindest für die Inntaler, Rosenheimer oder Münchner.

Das Kontrastprogramm bietet dann der Besuch in einer Kaverne, einer riesigen Aushöhlung mitten im Berg. Besichtigung des Brennerbasistunnels (BBT) steht auf dem Programm für Pressevertreter.

Also werden erst einmal Warnwesten – keine gelben – drüber gezogen, Gummistiefel mit verstärkter Spitze gegen die eigenen Schuhe getauscht, Helm und eine Art Lawinensonde vervollständigen die Ausrüstung. Die Einfahrt kurz hinter Mauls gleicht einem riesigen dunklen Schlund, mit ordentlich Gefälle geht es nun rund zwei Kilometer tief ins Gestein hinein. Rechts und links leuchten Lampen und bringen etwas Helligkeit in das tiefe Schwarz. Plötzlich ist diese leichte Stimmung aus dem Cafe wie weggeblasen, es dröhnt, klopft und wummert. Die Luft ist staubig, feucht und 22 Grad warm.

Es riecht nach Arbeit und kontrollierter Hektik

Riesige Monster-Geräte rasen blinkend vor und zurück, Gebläse für Frisch- und Abluft sowie dicke Stromkabel hängen im Tunnel: Es riecht nach Arbeit und kontrollierter Hektik.

650 Menschen arbeiten am BBT, bis zu drei Wochen lang, dann geht es für sie für kurze Zeit wieder nach Hause. „Am BBT wird rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche gearbeitet“, sagt Heinz Tschigg, Ingenieur am Info-Point in Franzensfeste.

Erdplatten treffen aufeinander

Viele technische Probleme wie Störungszonen und das Aufeinandertreffen von zwei Erdplatten – sie haben die Alpen aufgefaltet – seien bei diesem gewaltigen EU-Projekt – es ist der weltweit längste Tunnel mit 64 Kilometern – zu bewältigen. Unvorhergesehene Ereignisse müssten rasch geschultert und unkonventionelle Lösungen gefunden werden. „Um etwa den Fluss Eisack zu unterqueren, wurde eine völlig neue Idee technisch umgesetzt: Vereisung des Gesteins!“ Zwei Schächte werden auf der Höhe von Mauls unter der Eisack durchgetrieben. Tschigg: „Eine Meisterleistung der Ingenieurskunst.“

Bohrmaschinen der

Sonderklasse

Zwei Tunnelbohrmaschinen – demnächst soll eine weitere dazukommen – graben sich an unterschiedlichen Stellen mit hoher Produktionsleistung entimetergenau durch den Granit. „Besonders für gerade Strecken eignen sich diese Hochleistungsmachinen“, erklärt Tschigg. Gegenüber dem konventionellen Sprengvortrieb habe eine solche Bohrmaschine eine um 70 Prozent höhere Leistung. „Wir kommen voran. 37 von 55 Kilometer Erkundungsstollen sind durchbrochen und 98 von insgesamt 230 Kilometern Tunnel gebohrt“, sagt Tschigg.

Das gesprengte Material wird zum großen Teil noch im Tunnel durch ein eigenes Zementwerk weiterverarbeitet, vier Betonmischer können gleichzeitig befüllt werden. Ein eigens errichtetes E-Werk liefert 39 Megawatt.

Unterschiedliche Kulturen

Doch die größte Herausforderung bei der Realisierung des Zehn-Milliarden-Euro-Projekts BBT liege eigentlich in einem anderen Bereich, erklärt Martin Ausserdorfer. Der Südtiroler ist Direktor der Beobachtungsstelle zum Bau des BBT in Franzensfeste und der Zulaufstrecke sowie Aufsichtsrat der Tunnelbaugesellschaft BBT SE. „Die spannenden Herausforderungen waren die unterschiedlichen Kulturen in diesem länderübergreifenden Bauprojekt.“ Da gehen Italiener anders an Probleme heran als Tiroler, sie haben unterschiedliche Rechtsauffassungen, unterschiedliche Vergabesysteme, Vorschriften und DIN-Normen. „Das musste alles erst einmal unter einen Hut gebracht werden“, erklärt Ausserdorfer. Neun Jahre habe allein das Genehmigungsverfahren für den BBT gedauert. „Der Bau der Brennerbahn vor rund 150 Jahren hat im Vergleich insgesamt nur sechs Jahre benötigt.“

Allmählich dämmert es dem Reporter, dass die deutschen Klischees von „den Ösis“ und den „chaotischen“ Italienern hier beim Bau des BBT nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun haben. „Wir sind viel weiter, als manche glauben“, meint Ausserdorfer amüsiert. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass der Tunnel 2027 fertig und 2028 in Betrieb gehen wird. Mit einem Schlenker erwähnt er die italienischen Hochgeschwindigkeitszüge und das riesige Infrastrukturprogramm in Italien, wovon jenseits der Alpen „nicht viel wahrgenommen“ werde.

„Vision Südtirol“:

Schiene vor Straße

Und dann kommt Ausserdorfer so richtig in Fahrt. Sein Südtirol lebe ganz wesentlich vom Tourismus. Waren es einst Billigpensionen, die die Menschen jenseits der Alpen in Scharen anzogen, so sei der heutige Gast anspruchsvoll und fordere eine Portion Luxus und vor allem Ruhe. „Er will nicht im Stau stehen und er will keine Blechlawinen erleben.“ Das habe im Letzten dazu geführt, den BBT samt der südlichen Zulaufstrecke in Angriff zu nehmen. „Dahinter stehen inzwischen bis auf ganz wenige Ausnahmen alle 500000 Südtiroler“, betont er.

Doch die „Vision Südtirol“ gehe viel weiter. „Wir wollen den autofreien Urlaub, wir wollen Mobilität für Gäste und Einheimische, doch nicht mehr auf der Straße. Wir werden Mobilität auf die Schiene verlagern“, sagt Ausserdorfer. In einem vernetzten und eng getakteten System mit integriertem Ticket sollen der Nahverkehr wie etwa die Vinschgau-Bahn ebenso verbunden werden wie die 230 km/h schnellen Züge über den Brenner und die Bergbahnen. „Wir haben sechs Millionen Gäste pro Jahr in Südtirol. Diese Herausforderung müssen wir bewältigen. Dazu gehören eben neue, auch ungewöhnliche Konzepte“, so der Südtiroler.

Deshalb bedauert er es fast ein bisschen, dass aus dem Ausbau des Flughafens Bozen – vom Landeshauptmann Arno Kompatscher angestoßen, aber von den Bürgern per Entscheid zu Fall gebracht – nichts geworden ist. Heute ist der Flughafen in privater Investorenhand. „Mit Privatjet können sie kommen, nicht aber mit Charter oder Linie“, meint Ausserdorfer etwas einsilbig.

Fünf Milliarden Euro kostet der Südzulauf

Gleichzeitig weist er auf die hohe Bedeutung des fünf Milliarden Euro schweren Südzulaufs von Franzensfeste bis Verona hin. „Die rechtzeitige Fertigstellung dieser vier Baulose bis zur Inbetriebnahme des BBT im Jahr 2027/2028 macht Sinn.“

In Innsbruck können sowohl Güter- wie Personenzüge – ausgelegt ist der Tunnel für rund 400 – mit einem maximalen Tempo von 230 km/h einfahren. In Franzensfeste kommen sie wieder ans Tageslicht. Dort geht es sehr schnell wieder in den Tunnel. Das erste Baulos Franzensfeste-Waidbruck sei eingetütet, auch die Umfahrung von Bozen bereits vorbereitet. „Es wird ein oberflächennaher Tunnel“, erklärt Ausserdorfer. Komplizierter sei die Sache mit Los drei und vier. Die Umfahrung von Trient/Rovereto werde wohl ebenfalls rechtzeitig fertig, das Gleiche hofft er von Baulos 4, die Umfahrung und die Einfahrt von Verona. „Der ehemalige Bürgermeister von Verona votierte dafür, der aktuelle dagegen. Wir werden sehen. Noch steht die Finanzierung nicht.“

Bevölkerung geht

auf die Barrikaden

Dass auch in Südtirol Bürger auf die Barrikaden gehen und besonders im Unterland – also etwa zwischen Bozen und Trient – ihre Heimat, die klassische Weinbaugegend, vor einer Zerschneidung schützen wollen, dafür hat Martin Ausserdorfer nur bedingt Verständnis. Von einzelnen Gruppen werde bewusst Stimmung gemacht und besonders vor Wahlen würden gezielt Falschinformationen gestreut. „Hieß es nicht auch, dass die fremden BBT-Bauarbeiter unser Land an die Grenze des Belastbaren bringen? Und, kam es so? Nein“, antwortet er gleich selbst. Im Gegenteil: Heute sei die ganz große Mehrheit der Südtiroler stolz auf den Tunnel und die damit verbundenen Leistungen. „Die Zeit der Kritik ist vorbei.“

Und so ganz nebenbei seien auch unzählige Diplomarbeiten, Doktorarbeiten und viel Fachliteratur im Rahmen des BBT-Projekts entstanden. Südtirol habe sich weltweit einen Namen gemacht, argumentiert er für das EU-Projekt. „Gleichzeitig war es auch eine enorme Ankurbelung für die Wirtschaft“, meint Ausserdorfer.

Schließlich bezahlt die EU grob 40 Prozent, die restlichen 60 Prozent teilen sich Italien und Österreich. „Und das schaffen wir“, so Ausserdorfer. Sagt’s und flitzt zum nächsten Termin.

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