Andreas Krug
und Maria Els mit
Medaille und Urkunde.
Foto Regierung von Oberbayern
Bad Endorf – Am gestrigen Freitag erhielt der Bad Endorfer Andreas Krug (69) die „Medaille für besondere Verdienste um pflegebedürftige Menschen mit Behinderung“ aus der Hand von Maria Els, Regierungspräsidentin des Bezirks Oberbayern. Nicht die erste Ehrung für Familie Krug: Erst im September bekam Christa Krug (66) das Bundesverdienstkreuz. Auch hier lagen die Verdienste um die Pflege ihres behinderten Sohnes Andreas zugrunde.
Die Freude beim Eheepaar Krug war und ist natürlich groß. Und trotzdem stellen sie sich die Frage: „Es gibt so viele andere, die dasselbe leisten, die es dabei sogar schwerer haben. Warum also wir?“ Einen Grund könnte man als Besucher auf Anhieb nennen, auch wenn dieser in keiner offiziellen Begründung auftauchen wird: Es ist die überraschende Heiterkeit und Fröhlichkeit, die bei Familie Krug vorherrscht.
Wobei – das wird einem bei dem Besuch relativ schnell klar – die Überraschung darüber viel auch mit den eigenen Klischees zu tun hat, die einem beim Thema Behinderung im Kopf stecken: In einem Haushalt mit einem geistig und körperlich behinderten Menschen, muss, so denkt man, die Schwere des Schicksals irgendwie zu spüren sein. Vor allem dann, wenn die Behinderung – wie eben bei Andreas Krug – auf äußerst unglückliche Umstände zurückzuführen ist.
Epileptischer Anfall im Alter von einem Jahr
Kurz vor seiner Geburt hatte sich die Nabelschnur so um seinen Hals gewickelt, dass er zu wenig Luft bekam. Damit nicht genug: Als Andreas mit einem Jahr einen epileptischen Anfall bekam, konnte das Priener Krankenhaus ihn nicht aufnehmen. Der Rettungswagen musste zurück nach Rosenheim, hatte aber an jenem Abend vor 46 Jahren keinen Sauerstoff an Bord.
Fragt man Christa Krug, ob sie aufgrund dieser Verkettung unglücklicher Umstände zurechtkam, mit dem Schicksal zu hadern begann, muss sie erst einen Moment nachdenken. „Nein“, sagt sie dann, „nie. Es war für uns immer so: Wie‘s ist, ist es einfach.“
Das Bewusstsein über Andreas Behinderung war seinen jungen Eltern – Christa war 19, ihr Mann 22 Jahre alt – am Anfang gar nicht so deutlich. Fotos von damals zeigen einen kleinen Blondschopf, der auf dem Arm seiner Eltern aufgeweckt und neugierig in die Welt blickt. Dass der Kleine auch in der Zukunft einfach ein Baby, ein Kleinkind bleibt, während andere sich längst entwickeln, wurde den jungen Eltern erst mit der Zeit richtig bewusst. „Wie sehr Andreas behindert ist“, sagt Christa Krug, „ist mir eigentlich erst so richtig bewusst geworden, als unsere Heidi, die fünf Jahre nach Andreas auf die Welt kam, mit einem Jahr langsam begann laufen zu lernen, während Andreas eben immer noch auf seiner Decke lag.“
Dass nicht immer alles einfach und leicht zu bewerkstelligen war, dass es nicht immer wieder auch depressive Momente gegeben hätte, will Andreas Krug dabei gar nicht verhehlen. Krug erinnert sich noch heute mit Unbehagen an die Faschingssonntage, wenn er, der wie seine Frau ein ausgemachter Faschingsfan war, sich mit seinem kleinen und liebevoll geschminkten Sohn auf dem Arm unter die anderen tobenden und tanzenden Kinder mischte. So sehr er den Fasching liebte, diese Sonntage hat er gehasst: „Da stehst Du dann da und mit einem Mal kommt Dir: Dein Sohn wird nie so“.
Glück hatten Andreas und Christa Krug aber, wenn es darum ging, eine Betreuung für Andreas zu organisieren. Christa Krugs Mutter, die selbst bis ins hohe Alter fit blieb, war immer zur Stelle und ermöglichte es Andreas Krug, das zu werden, was er selbst einen „Vereinsmeier“ nennt. Denn wäre es dank Oma nicht möglich gewesen, dass seine Frau immer wieder mit ihm unterwegs ist, dann hätte er sich nicht so engagiert in Fasching, Fußball, Feuerwehr, wäre in der Folge wohl auch der Kommunalpolitik ferngeblieben.
Kampf gegen
die Bürokratie
Da ist aber noch ein anderer Punkt, der das Leben von Menschen mit Behinderung und ihrer Angehöriger mehr bestimmt, als sich Betroffene zunächst vorstellen. Mit der Tatsache nämlich, dass der Alltag ein steter Kampf mit der Bürokratie ist. Zwar sind die staatlichen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen heute ungleich weiter entwickelt, als zu den Zeiten, in denen Andreas noch klein war. Nach wie vor aber bleibt das Problem, dass man, wie Andreas Krug sagt, „ziemlich fit sein muss, um das, was es an Möglichkeiten gibt, in Erfahrung zu bringen und diese dann auch auszuschöpfen“.
Ein banales Beispiel: die Inkontinenzwindeln, von denen Andreas mindestens vier am Tag braucht. Die werden von der Krankenkasse in festgesetzten Mengen bezahlt. Weil die Krankenkassen laut Krug aber den Preis möglichst gering zu halten versuchen, werde auch hier immer weiter an der Kostenschraube gedreht. So lange, bis die Qualität sinke, weswegen in der Folge mehr Windeln als festgesetzt benötigt werden.
Schriftverkehr brachte die Krugs nicht weiter, weswegen sie eines Tages kurzerhand persönlich in Rosenheim bei der Krankenkassengeschäftsstelle vorstellig wurden. Samt Andreas und mit einem Paket Windeln unter dem Arm. Das Problem mit der Mehrbewilligung der Inkontinenzeinlagen war danach keines mehr.
Überhaupt erwies sich die Angewohnheit der Krugs, Andreas so weit wie möglich zu Terminen mitzunehmen, als durchaus hilfreich. Christa Krug hatte vor vielen Jahren wegen Andreas einen Termin beim Landratsamt. Doch leider war, wie es hieß, dort trotz Voranmeldung im Moment niemand zu sprechen. Da sagte sie: „Macht nichts, ich lass Ihnen den Andreas kurz da, und geh zwischenzeitlich schnell einen Kaffee trinken.“
Das in aller Unschuld und ohne jeden Hintergedanken –denn Andreas lag in seinem Wagen und schlief. Er wäre, auch wenn irgendetwas ihn geweckt hätte, absolut friedlich und ruhig geblieben. Dennoch dauerte es keine drei Minuten, bis sie zurückgeholt wurde. Ihr Ansprechpartner sei jetzt überraschend zurückgekommen.
Mögen viele Menschen über die Geschichte schmunzeln, so ist das, was dahintersteckt, alles andere als lustig: Die Unbeholfenheit nämlich, die so gut wie jeder hat, wenn er auf behinderte Menschen trifft.
„Schlimm“, sagt Andreas Krug, „sind eigentlich nicht die scheelen, kurzen Blicke. Schlimmer ist, dass die Leute sich abwenden, als wären sie ertappt, wenn sie bemerken, dass man zurückschaut.“
Ein Wunsch an
die Menschen
Deshalb ist es für Andreas Krug und seine Frau Christa klar: Die Ehrungen haben sie, so haben sie es für sich selbst zurechtgelegt, stellvertretend für alle anderen bekommen, die in einer ähnlichen Situation leben. Deshalb möchten sie stellvertretend für all diese auch einen Wunsch äußern: „Geht auf Menschen mit Behinderung, geht auf ihre Angehörigen zu. Ihr dürft auch neugierig sein, fragt ruhig, nur eines unterlasst: So zu tun, als wären sie etwas, das man am besten nicht sähe.“