Berlin – Ein gutes Vierteljahrhundert hat es gedauert, bis die ICE-Trasse Berlin-München fertig war. Das ist nichts gegen den Kölner Dom, gebaut in 632 Jahren, zwei Monaten. Aber das waren auch noch andere Zeiten. Jetzt aber sollen Flaschenhälse im Schienennetz und bei Wasserstraßen schneller behoben werden. Am Freitag hat der Bundestag dazu zwei neue Gesetze verabschiedet, beide aus dem Hause von CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Er will Großprojekte „von der Standspur auf die Beschleunigungsspur“ bringen.
Mit dem Gesetz Nummer 1 sollen Verfahren für Ersatz-Neubauten schlanker werden. So sollen Kommunen bei der Beseitigung von Bahnübergängen finanziell entlastet werden, weil sich künftig Bund, Bahn und Land die Kosten teilen. Und bei Ersatzneubauten, etwa Behelfsbrücken, entfallen Genehmigungsverfahren. Das ist wenig strittig. Allein die Linken enthielten sich am Freitag, alle anderen stimmten zu. Anders ist das bei Gesetz Nummer 2. Dagegen stimmten Linke und Grüne, auch einige aus der SPD. Verfassungsrechtler äußern Bedenken. Thomas Groß, Professor für öffentliches Recht an der Universität Osnabrück, sagt: „Es ist ein Debakel, weil es mit dem europäischen Recht nicht vereinbar ist.“
Darum geht es: Der Bundestag soll acht Schienen- und fünf Wasserstraßenprojekte per Gesetz genehmigen können. Weil nun mit dem Bundestag ein demokratisches Gremium statt einer anonymen Behörde die Genehmigung treffe, „erhöhen wir die Akzeptanz“, meint Minister Scheuer.
Bislang entscheidet bei Bahnprojekten das für seine notorische Langsamkeit bekannte staatliche Eisenbahnbundesamt (EBA) über die Genehmigung. Der Bundestag hat jetzt exemplarisch Projekte ausgewählt, bei denen es schneller gehen soll. Darunter sind mit der Bahnstrecke München-Mühldorf und der Trasse Hof-Marktredwitz-Regensburg auch zwei bayerische Projekte. Beide sind für den Güterverkehr wichtig, aber großteils eingleisig und nicht elektrifiziert.
Die Genehmigung der Planfeststellung trifft in diesen Fällen jetzt nicht mehr das EBA, sondern per Beschluss der Bundestag. Der Unterschied: Gegen die EBA-Entscheidung kann jeder Betroffene klagen. Gegen einen Beschluss des Bundestags vorzugehen, ist weit schwieriger. Verwaltungsrechtler Groß meint: „Betroffene Bürger, die enteignet werden sollen, könnten nur noch Verfassungsbeschwerde einlegen.“
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 1990er-Jahren zur Südumfahrung Stendal, einem Teilstück der Schnellstrecke Hannover-Berlin, ist die Zulassung per Gesetz zwar in Einzelfällen und in engen Grenzen zulässig. Doch muss es dafür gute Gründe geben. Damals, in den frühen 1990er-Jahren, ging es um die rasche Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland. Ob eine bessere Anbindung von Sylt, die ebenfalls auf der Liste steht, ähnlich gewichtig ist? Thomas Groß hat seine Zweifel.
Die Bundesregierung verweist auf den Klimaschutz als Beschleunigungsgrund. Aber auch der Klimaschutz müsse mit den Grundrechten abgewogen werden, meint Groß und sagt: „Das eigentliche Ziel besteht darin, die bei vielen Verkehrspolitikern verhassten Klagen der Umweltverbände auszuschalten.“ Das widerspreche EU-Recht.
„Die Klimakrise braucht schnelles Handeln, deshalb wollen auch die Umweltverbände eine beschleunigte Planung“, sagt Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring. Das eigentliche Problem seien fehlerhafte Unterlagen und fehlendes Personal in den Behörden. Die Umweltverbände wollen juristisch gegen das neue Gesetz vorgehen. Durchaus denkbar, dass es für die 13 Projekte am Ende heißt: Statt schneller geht es vorerst gar nicht voran.