Zum großen Reichtum der deutschen Sprache gehört der Bedeutungswandel, der bis in so scheinbar unwichtige Adverbien wie „weg“ und „fort“ reicht. Ausländer, die so etwas mühsam lernen müssen, sind nicht zu beneiden. Dass „weggehen“ etwas ganz anderes ist als „fortschreiten“, versteht jeder. Als Adverbien aber meint man, dass „weg“ und „fort“ doch dasselbe bedeuten müssten.
Weit gefehlt weiß jeder, der wieder einmal – wie so häufig – morgens seine Brille sucht, die er verlegt hat. „Meine Brille ist weg“ bekommt die an diese Sache schon gewöhnte Ehefrau zu hören. Aber die Brille ist durchaus nicht „fort“. Denn sie findet sich irgendwo ganz friedlich im Badezimmer oder auf dem Telefontisch, wo sie gedankenlos liegen geblieben ist.
Dass „weg“ eben kein endgültiges Verschwinden bedeutet, das geht schon aus einer alten Anekdote über den Berliner Bankier Baron Fürstenberg hervor. Dem klagt ein Kunde sein Leid, der gerade große Verluste mit seinen Aktien hatte: „Herr Baron, mein ganzes Geld ist weg…“. „Moment“, korrigiert Fürstenberg ihn, „weg ist es bei Ihnen – aber Ihr Geld haben jetzt andere. Es ist fort zu neuen Besitzern.“
Zu ihrer wahren Größe aber laufen „fort“ und „weg“ für den auf, der mit der niederdeutschen Sprachfärbung von Rhein und Ruhr vertraut ist. Am Niederrhein wie in Westfalen spricht man jedoch zum Schrecken aller Anhänger von korrektem Duden-Deutsch nicht von „weg“ und „fort“, sondern von „wech“ und „fott“.
„Wat fott is, is fott“, sagt der Kölner Polizist, der mal wieder einen Einbruchdiebstahl in einem Villenvorort aufnimmt. Er meint damit aber nur, dass er sich nicht auf eine gründliche Verfolgung dieser Bagatelle einlassen mag. Denn die gestohlenen Sachen sind ja noch irgendwo vorhanden. Sie sind also nur „weg“ und nicht „fort“.
An der Ruhr und in Westfalen wird „wech“ noch in ganz anderem Zusammenhang gebraucht. Bringt der junge Mann seine neue Freundin mit nach Hause, die man in dieser Straße noch nie gesehen hat, dann fragt der Nachbar, der mal wieder „im Fenster liegt“ und alles beobachtet hat: „Von wo ist die denn wech, Deine Neue?“
Gut möglich aber, dass den schon älteren Nachbarn bald der Tod holt. Dann ist er, wie es so schön heißt: „Wech vom Fenster“. Und dieser gute Mann ist nicht nur „weg“, sondern auch „fort“. Denn dort, wo er jetzt ist, von da ist noch niemand zurückgekommen.
In dieser Woche durfte ich die Geburtstagsfeier eines Freundes erleben. Einer der Gäste brachte es auf den Punkt in seiner Rede: „Deine 80 Jahre sind weg, da ist nichts zu machen. Aber sie sind nicht ,fort‘, denn sie bleiben erlebte Zeit, die Dich geprägt hat.“ Möge es uns allen so gehen: Manches ist weg aus einem langen Leben, aber eben nicht fort.
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