München – Der Erstkontakt zur Politik war ein Desaster. Als Teenager wollte sich Kerstin Schreyer mal die Junge Union anschauen. Sie solle beim Grillfest im Park vorbeikommen, ermunterte sie der Ortsvorsitzende. Schreyer kam – und kehrte um. „Da waren nur junge Männer. Ich habe mich nicht getraut und bin wieder weggegangen“, erzählte sie unlängst: „Ich war mal sehr schüchtern.“
1988 war das. Vorsichtig ausgedrückt: Mit der Kerstin Schreyer von 2020 hat das gar nichts mehr zu tun. Den Weg zu JU und CSU fand sie noch. Die Schüchternheit wurde gut überwunden: Wenn Schreyer in einigen Tagen zu Bayerns Bau- und Verkehrsministerin ernannt wird, dann wegen ihrer zupackenden, durchsetzungsfähigen Art. „Wir brauchen jemanden, der Tacheles reden kann“, sagt Markus Söder.
Der Ministerpräsident rückt die 48-Jährige aus dem Landkreis München in den Mittelpunkt seiner gestern verkündeten Kabinettsumbildung. Schreyer verlässt das Sozialressort und übernimmt im Februar den sensiblen Posten für Bau und Verkehr. Das klingt nach einem eher technokratisch-juristischen Job, die SPD lästert bereits, welche Kompetenz eine Sozialpädagogin dafür mitbringe. Söder weiß jedoch: Die Themen Wohnen, Mietexplosion, Pendeln sind soziale Brennpunktfragen in der Metropolregion München – gleichzeitig darf der ländliche Raum nicht abgehängt werden. „Das ist eines der wichtigsten Ministerien überhaupt“, sagt Söder.
Nun, man hat das seiner Regierung bisher nicht angemerkt. Das 2018 neu formierte Ressort bekommt nach Ilse Aigner und Hans Reichhart nun also den dritten Chef. Schreyers Aufgabe wird auch, Ruhe ins Haus zu bekommen. Sie soll lieber bundespolitisch Kämpfe führen, etwa in Verhandlungen mit der Bahn. Bei Söder hinterließ Eindruck, wie sich Schreyer mit den SPD-Ministern im Bund um Bayerns Familiengeld stritt – und siegte.
Die Ministerin, geschieden, eine Tochter, sagt über sich, es gebe zu viele Politiker, „die jedem alles recht machen wollen – ich gehöre zu denen, die offen und ehrlich sagen, wenn etwas nicht geht“. Schreyer ist trotzdem (oder deshalb) eine der wenigen, die mit Horst Seehofer und mit Söder (er holte sie 2018 ins Kabinett) gleichermaßen gut klarkommen.
Söder hat sich die Kabinettsumbildung gut überlegt. Er stellt Schreyer einen Juristen und ehemaligen Bürgermeister als Staatssekretär zur Seite, den Schwaben Klaus Holetschek (55). Der hatte sich zwar selbst Hoffnungen aufs Ministeramt gemacht, dürfte aber auch mit dieser Berufung glücklich sein. Sein Job wird auch, den Teilumzug von 200 Ministerialen nach Augsburg zu leiten.
Der zweite Umbau-Schritt: Schreyers bisherige Staatssekretärin Carolina Trautner (58) wird am 6. Februar neue Sozialministerin. Die Schwäbin ist im Kabinett bisher eine der Unsichtbarsten unter vielen Unauffälligen. Söder bescheinigt ihr aber „große Empathie“, sie habe „das Herz am rechten Fleck“. Die Apothekerin soll zum neuen Gesicht der bayerischen Sozialpolitik werden. An Geld mangelt es nicht: Seit der Seehofer-Zeit sind die Etats um 50 Prozent gewachsen.
Trautner (verheiratet, zwei erwachsene Kinder, über die Mutter schwedische Wurzeln) passt bestens in den Regionalproporz. Sie könnte, steigende Prominenz vorausgesetzt, bei der Wahl 2023 die schwäbische CSU-Liste anführen. Söder sieht in ihr eine loyale Gefolgsfrau, Trautner forderte schon 2017 Seehofers Rückzug.
Nebeneffekt: Wenn man die Staatssekretäre und den männerlastigen Koalitionspartner FW rausrechnet, hat die CSU nun Parität erreicht: fünf ihrer zehn Minister sind weiblich. CHR. DEUTSCHLÄNDER UND MARTIN BECKER