Freistaat auf Stadtflucht

von Redaktion

Neues Umzugsprogramm für Bayerns Behörden: Ministerpräsident Söder will tausende Beamtenstellen aus München abziehen und in den Norden und Osten Bayerns verlagern. Ziel: Druck aus der Stadt nehmen, das Land stärken.

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND MARC BEYER

München – Der Mieter ist solvent, hat eine anständige Reputation, Mietnomadentum stand auch nicht zu befürchten. Trotzdem gab es Stirnrunzeln, als Bayerns Innenminister neulich ergänzende Räume für seine Beamten suchte. Wegen der Kosten: Auf monatlich über 400 000 Euro wurden die Ausgaben für 12 000 Quadratmeter Bürofläche in der Münchner Innenstadt geschätzt.

Kein Einzelfall: In der überhitzten Stadt finden selbst Behörden nur mühsam Räume; und die Beamten, die darin arbeiten sollen, können sich die hohen Lebenskosten auch oft kaum leisten. Die Staatsregierung will nun massiver als bisher gegensteuern und eine weitere Stufe einer Behördenverlagerung einleiten. „Wir stellen fest: München wächst immer weiter, mit allen Folgen“, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unserer Zeitung. Gleichzeitig zeige die Bevölkerungsstatistik einen Rückgang in mehreren Regionen. „Man muss gegensteuern. Wir werden Google nicht überzeugen, nach Hof oder Mainspessart zu kommen – aber der Staat kann handeln.“

Für die CSU-Fraktionsklausur in Seeon nächste Woche bereiten Söder und Finanzminister Albert Füracker einen großen Aufschlag dazu vor. Im Umfang sei das vergleichbar mit der letzten Stufe des Umzugs, die Söder 2015 (als Heimatminister) veranlasste: Das waren 64 Verlagerungsprojekte mit 3155 Personen.

Details nennt er nicht. Dem Vernehmen nach dürfte es vor allem um Mittelbehörden gehen, nicht um Ministerien. Zielgebiete sind Ober- und Unterfranken, bei einem Auftritt in Weiden sagte der Regierungschef auch der nördlichen Oberpfalz Hilfe zu. Eine ausgewogene Bevölkerungsentwicklung sei „eine Kernaufgabe der Landespolitik“, sagt Söder. Er wolle diese Aufgabe sehr ernst nehmen und ins Zentrum seiner Arbeit gerade zu Beginn des Jahrzehnts stellen.

Gezwungen werden soll kein Beamter, Söder spricht von Anreizen. Die frei werdenden Flächen in München sind noch nicht konkret verplant. Wo es stadtplanerisch möglich ist, sollen auch Wohnungen und Grünflächen entstehen.

Ein Großprojekt wie die Verlagerung von Behörden ist ein Marathonlauf, kein Sprint. Im Sommer 2019, vier Jahre nach dem Startschuss, hatten in 48 Behörden und staatlichen Einrichtungen rund 1200 Personen den Betrieb aufgenommen – 75 Prozent der Projekte waren damit angelaufen mit 38 Prozent der Mitarbeiter.

Die Bandbreite ist enorm. Es gibt die Beamtenfachhochschule, die 2022 in Kronach den Betrieb aufnehmen soll, die Deggendorfer Dienststelle der Autobahndirektion Südbayern (160 Arbeitsplätze im Endausbau) oder die Landesbaudirektion Bayern im unterfränkischen Ebern (100 Plätze). In Zwiesel entsteht eine Außenstelle des Landesamts für Steuern, wo in naher Zukunft 100 Mitarbeiter tätig sein werden.

Die Umzüge verlaufen weitgehend geräuschlos. Eine Kombination von Versetzungswünschen und der Neueinstellung von Ortsansässigen ist der Grund, warum Härtefälle vermieden werden konnten. Rund 30 Prozent der Arbeitsplätze vor Ort wurden bislang neu besetzt, teilt das Finanzministerium mit, bei den übrigen 70 Prozent wurden Wünsche von Mitarbeitern aus dem öffentlichen Dienst in ganz Bayern erfüllt.

Das Gesundheitsministerium ist die prominenteste Behörde, die aus der Landeshauptstadt abgezogen wurde. Geblieben ist ein Stützpunkt in München, doch die Zentrale ist nun in Nürnberg – in Gehweite zum Hauptbahnhof, was den Pendlern gefällt. Im Sommer 2016 hatte das Kabinett den Umzug beschlossen. 16 Monate später wurde der neue Dienstsitz eingeweiht. Mittlerweile arbeiten dort über 100 Personen, und das Problem der räumlichen Enge ist auch am neuen Standort schon wieder ein Thema. Man sucht bereits nach zusätzlicher Bürofläche.

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