München – Die Männer tragen Patronengürtel um die Hälse, sie feuern wie wild in die Luft und rufen dazu „Allahu Akbar“. Erst vor wenigen Tagen tauchte das Video, das offenbar nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis aufgenommen wurde, in den sozialen Netzwerken auf. Beobachter sind sich sicher: Die Männer sind Söldner aus Syrien, die – unterstützt von der Türkei – in dem nordafrikanischen Kriegsland kämpfen.
Aber sie sind nur die Vorhut. Bald schon will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ganz offiziell Truppen nach Libyen schicken. Das Parlament in Ankara gab gestern grünes Licht. Sollte es so kommen, könnte der Libyen-Konflikt eine neue Stufe der Eskalation erreichen.
Libyen gilt seit dem Sturz des ehemaligen Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 als gescheiterter Staat mit zwei Machtzentren. Die Regierung um Präsident Fajis al-Sarradsch ist zwar international anerkannt, kontrolliert aber nur kleine Gebiete des Landes. Weit mächtiger ist General Khalifa Haftar, der im Frühling 2019 mit seinen Truppen einen Angriff auf Tripolis startete.
Lange stand der Konflikt im Schatten des Kriegs in Syrien, dabei ist er inzwischen ähnlich unübersichtlich. Der Libyen-Krieg ist längst ein internationaler geworden – mit Akteuren aus aller Welt.
Erdogan will Sarradsch zu Hilfe kommen. Man nehme nur die „Einladung der legitimen Regierung des Landes an“, sagte er. Auch das kleine Emirat Katar unterstützt die Regierung in Tripolis. Bisher hat allerdings Haftar die einflussreicheren Verbündeten. Dazu gehören neben Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate, die Haftar – einem Waffenembargo zum Trotz – mit Drohnen und Luftabwehrsystemen beliefern. Mehr als 1000 russische Söldner sollen zudem für ihn kämpfen.
Der EU fehlt indes eine einheitliche Linie. Während Frankreich es eher mit Haftar hält, der sich in den Augen des Elysée-Palasts als Anti-Terror-Kämpfer bewährt hat, unterstützt Italien die Sarradsch-Regierung. Beide EU-Länder verfolgen aber auch wirtschaftliche Interessen. Vor allem der italienische Konzern Eni importiert große Mengen Gas und Öl aus Libyen.
Gas ist auch für Erdogan ein Stichwort. Denn hinter seinem nun forcierten Libyen-Engagement steckt auch das Kalkül, sich wichtige Vorkommen im Mittelmeer zu sichern. Schon im November hatten er und Sarradsch ein Abkommen unterzeichnet, mit dem die Türkei unter anderem Anspruch auf rohstoffreiche Gebiete nahe der griechischen Insel Kreta erhebt. Griechenlands Regierungschef Kyriakos Mitsotakis nannte das türkische Vorgehen „aggressiv“.
Wann türkische Truppen nach Libyen geschickt werden, ist offen. Die Folgen könnten laut Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik aber verheerend sein. „Das Resultat ist ein Krieg vor Europas Haustür, der von fernen Mächten wie Russland und den Emiraten angetrieben wird, auf den die Europäer aus Eigenverschulden aber überhaupt keinen Einfluss mehr haben.“
Noch immer durchquert der Großteil der Flüchtlinge aus Afrika, die nach Europa wollen, den nordafrikanischen Staat. Je unklarer die Verhältnisse, desto wackeliger scheint auch die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, die als Gegenleistung für EU-Gelder Flüchtlinge an der Überfahrt nach Europa hindert.
Laut den Vereinten Nationen halten sich im Moment mehr als 46 000 Flüchtlinge und Asylsuchende im Land auf – und das sind nur die registrierten. Knapp 350 000 Libyer sind auch wegen der anhaltenden Kämpfe Binnenflüchtlinge. Die humanitäre Lage im Land ist Hilfsorganisationen zufolge schon jetzt teils menschenunwürdig. Ein sich verschärfender Krieg mit langen, international geführten Kämpfen würde ihre Lage weiter verschlechtern.
Die USA, die eigentlich im Anti-Terror-Krieg in Libyen aktiv sind, halten sich trotz der verzwickten Lage zurück. Präsident Donald Trump riet Erdogan in einem Telefonat am Abend von einer „ausländischen Einmischung“ ab; das verkompliziere die Lage. Russlands Präsident Wladimir Putin will am Mittwoch zu klärenden Gesprächen in die Türkei reisen. Beide Länder stehen auf unterschiedlichen Seiten. Es dürfte spannend werden. mit dpa