Friedensruf mit Zwischentönen

von Redaktion

Zur letzten Kabinettssitzung holt Söder seine Minister in Nürnberg zusammen. Er lobt seine Truppe und verlangt Harmonie. Die Opposition legt giftigere Zwischenbilanzen unter den Weihnachtsbaum.

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Nürnberg – Auf den ersten Blick wirkt alles sehr weihnachtlich. „Hubert, magst’ noch Lebkuchen“, ruft Markus Söder seinem Vize Aiwanger zu, „den gibt’s auch in Orange, hehe“. In Eintracht schlendert das Kabinett über den Christkindlesmarkt in Nürnberg, hier Glühwein, da ein Selfie mit Standlbesitzern. Die Adventsfeier der Staatsregierung zeugt von großer Harmonie. Nach einem turbulenten 2019 und drei Monate vor der Kommunalwahl sucht vor allem der Ministerpräsident politische Weihnachtsruhe.

Doch wie lang hält sie? Mehrfach hat es zuletzt geknirscht in der sonst so reibungsarmen schwarz-orangenen Koalition. Dreh- und Angelpunkt war meist Aiwanger. Der Freie-Wähler-Chef setzte sich mit scharfen Worten von der CSU-Politik im Bund ab. Er sagt, dass er vom CO2-Preis, den Söder in der Nacht auf Montag mit CDU, SPD und Grünen aushandelte, wenig hält: „Alles ruft nach dem CO2-Preis. Mir wäre es lieber, es würde keinen geben.“ Bei der Verschärfung des Waffenrechts fiel er der CSU offen in den Rücken, sprach von „Schikane“ für die Schützen. Er erzwingt sogar, dass Bayern sich am Freitag enthalten muss, wenn der Bundesrat über das von CSU-Ministern ausverhandelte Gesetz abstimmt. Das nagt am CSU-Selbstverständnis.

Hinter vorgehaltener Hand murren Söders Christsoziale. Die Koalitionäre wollen den Streit aber nicht auf die Landespolitik übergreifen lassen. Man werde auch vor der Kommunalwahl am 15. März – wo CSU und Freie Wähler Rivalen sind – „sehr eng und gut zusammenarbeiten“, sagt Söder. „Wir sind ein Team“, gelobt Aiwanger, „wo man nicht versucht, sich über den Tisch zu ziehen und den anderen blöd aussehen zu lassen.“

Es gab in Nürnberg schon schrägere Friedensgelübde, etwa 2012, als sich nach einem wüsten Streit Söder und Vorgänger Horst Seehofer für die Kameras genau hier mit Glühwein zuprosteten. Heuer ist der Ruhewunsch ehrlich: Söder will sein Bayern-Bündnis vom Dauergezänk in Berlin abgrenzen, er könnte wohl auch kaum zwei Koalitionskrisen in München und Berlin gleichzeitig bewältigen. Die großen inhaltlichen Konfliktpunkte stehen ohnehin nicht an. Artenschutz, Haushalt und Hightech-Programm sind entschieden, Aiwangers Anliegen – Kinderbetreuung, Straßenausbaubeiträge – unumkehrbar angeschoben. Eher stellt sich die Frage, ob der Koalitionsvertrag nach 2020 bis 2023 in Teilen ergänzt werden soll.

Dass Söder künftig von manchem Minister noch etwas mehr Schwung erwartet, deutet er nur dezent an. „Wir müssen das Tempo ein bisserl verstärken nächstes Jahr.“ Zensuren verteilen, Gewinner und Verlierer im Kabinett benennen will er nicht. Das übernimmt auf Nachfrage gerne die Opposition. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann spottet: „In diesem Kabinett gibt es nur einen, der immer Sieger sein will: Söder. Das heißt im Umkehrschluss, dass alle anderen Kabinettsmitglieder zwangsläufig Verlierer sind.“ Sie müssten bei allen Ideen „stets bibbernd warten, ob er den Daumen hebt oder senkt“. Auch das Lob von SPD-Fraktionschef Horst Arnold ist giftig: Als Gewinner nennt er Bauminister Hans Reichhart, weil der als Landrat in Günzburg kandidiere und „mit größter Wahrscheinlichkeit das überlastete und überforderte Ministerium“ verlassen dürfe.

Der neue AfD-Fraktionschef Ingo Hahn sieht allenfalls bei Aiwanger positive Ansätze, weil er über München hinaus blicke. Verlierer sei „bei durchaus vorhandener Konkurrenz“ die CSU-Agrarministerin Michaela Kaniber. Die Staatsregierung habe mit der Annahme des Artenschutz-Gesetzes die Bauern und den ländlichen Raum verraten. „Es wäre ihre Aufgabe gewesen, sich schützend vor die Bauern zu stellen. Sie hat aber komplett versagt.“

Martin Hagen (FDP) verteilt das Minus an Finanzminister Albert Füracker: „Er muss die Wahlgeschenke von Söder und Aiwanger bezahlen und sich ausgerechnet in Zeiten von Rekordeinnahmen vom Ziel der Schuldentilgung verabschieden“. Hagens Plus gilt Söder: „Vor einem Jahr noch der unbeliebteste Ministerpräsident Deutschlands, heute kann er sich berechtigte Hoffnungen auf die Kanzlerschaft machen.“

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