München – Dieser eine Satz begleitet Horst Seehofer bis heute. Er fiel nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle, als der Bundesinnenminister sich vor Ort ein Bild von dem Terror machte. „In die Stille hinein“ sei er von einem Mann aus der Menge gerufen worden, erinnert sich Seehofer. Er lautete: „Ihr könnt uns nicht schützen.“
Dieses nagende Gefühl der Menschen, dass der Staat dem Bedürfnis nach Sicherheit und geordneten Verhältnissen womöglich nicht mehr gerecht wird, hat der Minister in den vergangenen Monaten oft erwähnt. Er tat es nach den Morden in Halle ebenso wie später, als Deutschland es nicht schaffte, einen Clan-Kriminellen dauerhaft abzuschieben. Wenn er für schärfere Gesetze eintrat oder einen Ausbau der Schleierfahndung, dann berief sich Seehofer oft auf dieses Gefühl der Bürger, das sich an jenem Abend in Halle besonders deutlich artikulierte: „Das haben wir als starken Auftrag empfunden.“
Gestern hat Seehofer mit den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Pressekonferenz geladen, um über die Neuorganisation der Behörden im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu informieren. Er spricht von einer „hässlichen Blutspur, beginnend von NSU bis Halle“, und weist darauf hin, dass mittlerweile die Hälfte der politisch motivierten Körperverletzungen ihre Ursache im rechtsextremen Bereich hätten. „Mindestens 12 000 Personen“ seien „potenziell gewaltbereit“.
Nicht erst seit heute droht Gefahr, will der Innenminister damit sagen. Doch erst 2019 haben sich Politik und Behörden richtig aufgerappelt, unter dem Eindruck des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag in Halle. Der Staat müsse sich „bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus deutlich breiter aufstellen“, sagt Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang – mit mehr Personal, neuen Inhalten.
600 neue Stellen hat der Bundestag nach Halle bewilligt, jeweils eine Hälfte für BKA und BfV. Hinzu kommen schon zuvor geplante 500 Extra-Stellen für das BKA. Dessen Chef Münch stellt fest: „Gewalt nimmt zu, Propagandadelikte nehmen zu.“ Neben Ausländern und politischen Gegnern stünden auch Mandatsträger und Befürworter einer liberalen Flüchtlingspolitik immer mehr im Fokus. „Bedrohungen im Netz und Gewalttaten schaffen zunehmend ein Klima der Angst.“
Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang weist darauf hin, dass man sich lange Zeit stark auf „den gewaltorientierten Rechtsextremismus konzentriert, bestimmte Personen in den Blick genommen“ habe. Heute weiß er, dass das nicht reicht: „Es ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich.“ Neben rechten Parteien, Vereinen und Kameradschaften, Konzerten und Kampfsportveranstaltungen solle die neue Rechte stärker in den Blick rücken: Die nationalistische Identitäre Bewegung nennt Haldenwang ebenso wie die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und den „Flügel“ der Partei.
Insgesamt geht der Verfassungsschutz nach einem Bericht des „Tagesspiegels“ von 32 200 Rechtsextremisten für 2019 aus – im Vorjahr waren es noch 24 100. Grund ist demnach, dass auch „Flügel“ und Junge Alternative mitgezählt werden sollen.
Das Problem ist erkannt, die Täter hingegen scheinen für die Behörden manchmal nahezu aus dem Nichts zu kommen. So war es beim Lübcke-Mord, so war es auch in Halle. Knapp die Hälfte aller Täter, die mit rechtsmotivierten Straftaten auffielen, seien vorher nicht polizeibekannt gewesen, sagt Münch. Die Früherkennung solle besser werden. M. BEYER / M. HERZOG