München – Es war abzusehen. Vor zwei Jahren hatten die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt, Anfang 2019 auch dessen Souveränität über die besetzten Golanhöhen. Jetzt der nächste Schritt: Washington billigt Israels Siedlungen im Westjordanland. Die, sagte US-Außenminister Mike Pompeo, seien „nicht per se unvereinbar mit internationalem Recht“.
Pompeo verkündete die neue Linie zu Beginn einer wichtigen Woche für Israel. Das Land ist innenpolitisch gelähmt, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war nach Wahlen im April und September zwei Mal mit dem Versuch gescheitert, eine Regierung zu bilden. Nun ist sein Kontrahent Benny Gantz am Zug. Bis heute hat er Zeit, ein Bündnis auf die Beine zu stellen, aber die Chancen sind allenfalls mäßig. Scheitert er, steuert Israel auf die dritten Wahlen in diesem Jahr zu.
Vor allem Netanjahu dürfte die US-Entscheidung nutzen, weil sie seinen politischen Kurs bestätigt. Vor der Wahl im September hatte er schon eine Annexion von Teilen des Westjordanlands angekündigt. Jetzt sprach er von einem „historischen Tag“.
Die arabischen Nachbarstaaten sehen die Sache völlig anders. Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich empört und sagte: „Alle Siedlungsaktivitäten sind nach dem Völkerrecht illegal.“ Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte, die USA trügen die volle Verantwortung für die „Auswirkungen dieses gefährlichen Schritts“.
Der Siedlungsbau reicht Jahrzehnte zurück (siehe Kasten) und ist hochumstritten. Heute leben mehr als 600 000 Israelis in rund 200 Siedlungen im Westjordanland und im arabischen Ostjerusalem – also auf jenem Gebiet, das eigentlich mal ein unabhängiger Palästinenserstaat werden sollte. Obwohl der UN-Sicherheitsrat Israel vor drei Jahren in einer Resolution zum Stopp des Siedlungsbaus aufforderte, wächst die Zahl der Wohnungen in den besetzten Gebieten weiter. Knapp 8400 wurden nach Angaben der Organisation Peace Now seit Jahresbeginn genehmigt.
Die Regierung sieht sich dabei im Recht – und auch der Netanjahu-Konkurrent Benny Gantz ist kein Gegner des Siedlungsbaus. Das immerhin eint die beiden. Gestern trafen sie sich laut der Zeitung „Haaretz“ ein letztes Mal, um die Möglichkeit einer Koalition zwischen Netanjahus Likud und Gantz’ Mitte-Bündnis Blau-Weiß auszuloten.
Die Lage ist verzwickt. Gantz lehnt eine Regierung mit Netanjahu als Ministerpräsident ab. Die Alternative, eine Minderheitsregierung unter Gantz’ Führung, wäre aber nur mit Unterstützung arabischer Parteien und der ultrarechten Partei Israel Beitenu von Avigdor Lieberman möglich. Eine dritte Wahl würde die Krise verschärfen – und brächte laut Umfragen kaum andere Ergebnisse.
Wie genau die US-Entscheidung das Geschehen in Israel beeinflussen könnte, zeigte sich gestern. Sharren Haskel, die für den Likud im Parlament sitzt, twitterte, sie wolle nächste Woche ein Gesetz zur Annexion des Westjordanlands ins Parlament einbringen. Sie ist guter Dinge. Es gebe keinen Grund, dass das Gesetz „nicht von einer Mehrheit von 80 Abgeordneten durchgebracht wird“. mit dpa