München – Die Attacke von Friedrich Merz gegen Angela Merkel hatte es in sich. Unverhohlen hatte der Unionspolitiker am Montagabend im ZDF die Zeit der Kanzlerin und der Großen Koalition für abgelaufen erklärt. Dass der Angriff auf offener Bühne nicht nur auf Wohlwollen stoßen würde, war abzusehen. Beobachter wunderten sich dennoch, wie zurückhaltend der Widerspruch war.
Horst Seehofer (CSU), der oft genug selbst mit Merkel stritt, sagte, er halte die Kritik an der Kanzlerin für falsch. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther kritisierte eine Debatte, „die von älteren Männern geführt wird, die vielleicht nicht ihre Karriereziele in ihrem Leben erreicht haben“. Auch 15 Bundestagsabgeordnete um den früheren Minister Norbert Röttgen sprachen sich am Mittwoch gegen Personaldebatten aus. „Das Verhalten einzelner war extrem schädlich für die CDU und selbstzerstörerisch.“
Der inhaltlichen Kritik, Regierung und Kanzlerin seien untätig, widersprach aber kaum ein Unionsmitglied deutlich. Im Gegenteil: Carsten Linnemann, Vizechef der Unionsfraktion, sagte, die CDU habe zehn Jahre lang versäumt, Reformen zur Zukunftsfähigkeit des Landes zu diskutieren. „Stattdessen haben wir uns auf die Bundeskanzlerin konzentriert. Sie war ein gutes Argument – und das Argument geht uns jetzt abhanden.“ Wie Merz kritisierte er, Merkel habe etwa in die langwierige Debatte zur Grundrente nicht eingegriffen.
Christian von Stetten vom Parlamentskreis Mittelstand in der Unionsfraktion monierte den Umgang mit dem Thüringer Wahlergebnis. Dass der Vorstand ernsthaft eine Zusammenarbeit „mit den Kommunisten der Linkspartei diskutiert“ habe, zeige, in welch „falsche Richtung sich Parteiführung und Kanzleramt entwickelt haben“.
Mit der Thüringer CDU-Klatsche hatte auch Merz seine Attacke begründet. Dass es ihm nur darum geht, wird bezweifelt. In der CSU werden die Querelen aufmerksam verfolgt. Es gibt die Einschätzung, dass der Streit bis zum CDU-Parteitag in drei Wochen in Leipzig weiter hochgefahren werden soll. Um Personalfragen geht es dort zwar formal nicht. Doch die Junge Union will durchsetzen, dass über die Kanzlerkandidatur die Parteimitglieder entscheiden. Eine Urwahl wäre nach der verlorenen Abstimmung um den Parteivorsitz im vergangenen Jahr wohl Merz’ letzte Chance auf die Kanzlerkandidatur.
Für diese Urwahl hatte auch Bayerns Junge Union gekämpft (wenn auch auf dem eigenen Parteitag vergeblich). Von der JU kommt auch vorsichtige Kritik an Merkel: „Nach 14 Jahren Politik der kleinen Schritte sehnen sich die Leute nach politischer Führung, die den Mut hat, spürbar etwas zu verändern“, sagte der neue JU-Chef Christian Doleschal unserer Zeitung. Aus dem CSU-Vorstand hieß es dagegen, man solle die Personalquerelen beenden – damit die Union überhaupt noch ins Kanzleramt einziehen könne.
Auch kommt aus der CSU nicht nur Unterstützung für Merz. Das Stimmungsbild ist gemischt. Bayerns Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein mag sich zum Beispiel Merz als Integrationsfigur gar nicht vorstellen. Mit seiner Blackrock-Verbindung sei Merz „umgeben von Leuten, die mit zig Milliarden hantieren“. Er könne sich nicht in Leute hineinversetzen, die 900 Euro im Monat hätten.
Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich als Parteivorsitzende das Vorschlagsrecht in der Kandidatenfrage vorbehalten. Nach bisheriger Planung will sie sich erst im Herbst 2020 zu eigenen Ambitionen äußern.