Athen – In Griechenland deutet sich ein neues Aufflammen der Flüchtlingskrise an – schon seit Monaten, aber Europa schaut nicht hin. Zweimal in kurzer Folge waren nun CSU-Innenminister in Athen: Nach Horst Seehofer (Bund) Anfang Oktober reiste nun Joachim Herrmann für zwei Tage zu politischen Gesprächen an. Wir haben am Mittwoch mit Herrmann in Athen telefoniert.
Griechenland fühlt sich alleingelassen mit zehntausenden Flüchtlingen. Klingen Ihnen nach Ihren Gesprächen die Ohren vom Zorn der Politiker?
Nein, aber in allen Gesprächen kommt zum Ausdruck, wie besorgt die griechische Regierung wegen der massiv steigenden Flüchtlingszahlen ist. In Athen ist man sehr unsicher, wie groß die Ankunftszahlen auf den griechischen Inseln in den nächsten Wochen werden.
Sollte man sich das laienhaft so vorstellen, dass die Türkei gezielt Schleusen öffnet und schließt, um Druck auf Europa auszuüben?
Inwieweit die türkische Regierung das Übersetzen auf die griechischen Inseln steuert, ist schwierig zu beurteilen. Die Türkei hat mehrere Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Dafür ist es richtig und fair, dass die EU die Türkei finanziell unterstützt. Gleichzeitig müssten wir von Deutschland klarere Signale an die ganze Welt senden: Wir haben versprochen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf. Wir müssen deutlich machen, dass wir bereit sind, das konsequent umzusetzen.
In Griechenland wurden Flüchtlingsbusse mit Steinen beworfen, die Polizei ging mit Tränengas in überfüllten Lagern vor. Kippt die Stimmung?
Es ist schon deutlich zu spüren, dass die Stimmung kritischer gegenüber Flüchtlingen wird. Weitere Akzeptanzprobleme drohen, wenn die Regierung von den völlig überfüllten Inseln mehrere tausend Flüchtlinge aufs Festland bringen wird.
Warum sind Sie eigentlich nur in Athen – und besuchen nicht auch Lesbos?
Die Situation auf Lesbos und mehreren Inseln ist bekanntermaßen sehr schwierig, das weiß ich. Mit dem Betrachten der Lage dort kann ich nichts verändern. Es geht darum, mit der griechischen Regierung darüber zu reden, was jetzt getan werden muss.
Sie haben den Erzbischof getroffen. Er hat sich hinter den Seehofer-Vorschlag gestellt, Asylverfahren an der EU-Außengrenze abzuwickeln.
Ein hochinteressantes Gespräch. Hieronymus II. nennt es eine klare Fehlentwicklung, Flüchtlinge durch ganz Griechenland oder sogar Europa reisen zu lassen, bevor ihre Asylberechtigung geprüft wird. Die Verfahren sollten direkt nach der Ankunft durchgeführt werden.
Darüber wird seit Jahren geredet – aber eben nur geredet. Ist das realistisch?
Ja. Wir sollten uns die bayerischen Ankereinrichtungen zum Vorbild nehmen. Dort werden im Schnitt binnen 2,5 Monaten Asylentscheidungen getroffen. Wenn wir das zum europäischen Standard machen könnten, würde ein Verfahren direkt an der Grenze Sinn machen. Dazu gehört aber auch, konsequent alle wieder heimzuschicken, die keinen echten Schutzgrund haben.
Sollte Europa große Auffanglager in den südlichen Staaten betreiben?
Das muss man in Europa jedenfalls besprechen, vor allem mit den Hauptankunftsländern Griechenland, Italien und Spanien. Das bedeutet aber auch, dass anerkannte Flüchtlinge nicht auf Dauer in diesen Ländern festgehalten werden können, sondern dass es eine stabile europaweite Solidarität geben muss.
Seehofer will auch mehr Frontex-Truppen. Nanu – da hat doch Deutschland immer gebremst!
Wir müssen Frontex schneller verstärken. Die Bundespolizei, aber auch unsere Landespolizei, ist bereit, zusätzliche Leute für Frontex zur Verfügung zu stellen. Wir haben ein Interesse daran, dass der Außengrenzschutz der EU besser funktioniert.
Wie viele bayerische Polizisten leihen Sie her?
Ich kann nicht mit Zahlen spekulieren. Ich habe aber auch in Athen gesagt: Wenn es gewünscht wird, stehen wir zur Unterstützung bereit. Europa muss jetzt seine Handlungsfähigkeit beweisen und muss das Recht durchsetzen. Wir dürfen Länder wie Griechenland nicht allein lassen – auch in unserem eigenen Interesse.
Interview: C. Deutschländer