Rechter Terror in Halle

Deutschland hat ein Problem

von Redaktion

MICHAEL SCHLEICHER

Deutschland kann Rituale. Kein Staatsbesuch in Israel ohne Yad Vashem. Kein 9. November ohne Würdigung der Opfer der Pogromnacht. Kein Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ohne Mahnungen im Reichstag. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist wichtig, dass die Erinnerung an den Völkermord an Europas Juden Staatsräson ist. Doch das Beschwören des „Nie wieder!“ und das Totengedenken sind wertlos, wenn jüdisches Leben heute nur unter Polizeischutz stattfinden kann.

Daher ist es empörend, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach dem rechten Terroranschlag auf die Jüdische Gemeinde Halle erklärt, ein solcher sei für ihn „unvorstellbar“ gewesen. Es macht wütend und fassungslos, wenn die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Angriff als „Alarmzeichen“ wertet. Falsch! Ein Alarmzeichen ist, wenn Gedenkstätten geschändet werden, wenn Minderheiten (etwa Flüchtlinge) pauschal zu Sündenböcken erklärt werden, wenn Meldungen über rechtsextreme Netzwerke in Staatsorganen auftauchen, wenn sich jüdische Männer nicht mehr mit der Kippa auf die Straße trauen. Und wenn ein Politiker, der den Nazi-Terror einen „Vogelschiss der Geschichte“ nennt, weiter Gast in Talkshows sein darf, ist das nicht nur ein Alarmzeichen, sondern zeigt, wie alltäglich der Rechtsradikalismus geworden ist. Gegen braune Gewalt in Wort und Tat muss der Staat endlich mit aller Härte vorgehen. Und es ist an jedem von uns, den rechten Scharfmachern nicht den Diskurs zu überlassen.

„L’Shana Haba’ah B’Yerushalayim“ wünschen sich Juden an Jom Kippur. „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Es ist eine Schande, dass nach Halle noch mehr Menschen diesen Gruß nicht mehr als Ritual betrachten – sondern als letzte Chance auf ein Leben in Frieden. Ein Leben, das Deutschland offensichtlich nicht garantieren kann.

Michael.Schleicher@ovb.net

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