München – So etwas wie an Christi Himmelfahrt im Jahr 2018 hat die CSU in Bayern selten erlebt. Mehr als 30 000 Menschen gingen an diesem Tag in der Münchner Innenstadt auf die Straße – friedlich aber teils stocksauer. In der Woche darauf sollte der Entwurf für die Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) im Landtag verabschiedet werden. Neben der Opposition stemmte sich vor allem das Bündnis noPAG dagegen, das bayernweit Proteste organisierte. Die Sorge der Demonstranten: Unter dem Mantel angeblich drohender Gefahr, könnte die Polizei Rechte von Menschen einschränken – auch ohne einen konkreten Verdacht.
Verhindert haben die Demonstranten das Gesetz nicht. Es ist heute in Kraft. Doch auf Drängen ihres neuen Koalitionspartners, der Freien Wähler, erklärte sich die CSU nach der Landtagswahl im Herbst 2018 bereit, das Gesetz von einer Kommission überprüfen zu lassen. Und siehe da: Die fünfköpfige PAG-Kommission empfiehlt der Staatsregierung Nachbesserungen. Gestern übergab sie ihren Bericht an CSU-Innenminister Joachim Herrmann, der sogleich erklärte, er nehme die Kritik „sehr ernst“.
Unter anderem empfiehlt die Kommission der Staatsregierung eine Einschränkung des besonders umstrittenen Begriffs der „drohenden Gefahr“, auf dessen Grundlage die Polizei in Ausnahmefällen ohne konkreten Verdacht auf geplante Straftaten Maßnahmen wie Durchsuchungen einleiten darf.
Nun schlägt die Kommission vor, zum einen eine rechtliche Definition der „konkreten Gefahr“ einzufügen, um die beiden Begriffe besser voneinander zu unterscheiden. Zudem sollten Eingriffe aufgrund „drohender Gefahr“ – also ohne konkreten Verdacht – auf den Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter wie das Leben beschränkt sein. Und auch dann sollen sie erst möglich werden, wenn klar ist, dass nicht auch eine konkrete Gefahr vorliegt.
Eine weitere Anregung der Kommission betrifft den sogenannten Präventionsgewahrsam. Das bedeutet, dass jemand inhaftiert wird, um eine möglicherweise drohende Straftat zu verhindern. Das sei zwar generell in Ordnung, befindet die Kommission. Doch müsse die Höchstdauer solcher Maßnahmen deutlich auf unter drei Monate begrenzt werden.
Herrmann betonte gestern, dass dieser Gewahrsam in der Praxis bereits seit zwei Jahren möglich ist. In nur einem einzigen Fall sei jemand tatsächlich 90 Tage inhaftiert worden, einen längeren Gewahrsam habe es nicht gegeben. Zudem verzeichne sein Ministerium „lediglich 19 Fälle einer Ingewahrsamnahme über die schon vorher zulässigen 14 Tage hinaus“. Trotzdem erscheine ihm eine Befristung sinnvoll, sagte Herrmann. Das gelte auch für den Vorschlag der Kommission, den Betroffenen verpflichtend einen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen.
Auch insgesamt zeigte sich Herrmann aufgeschlossen für die Vorschläge der Kommission. Man werde sie auswerten und möglichst bis November einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen.
Vom Tisch dürfte das Thema aber trotzdem so schnell nicht sein: Derzeit laufen Klagen von Grünen und SPD am Bundesverfassungsgericht und am bayerischen Verfassungsgerichtshof. Und auch die anderen Kritiker werden nicht leiser. Die Sprecherin des noPAG-Bündnisses Laura Pöhler nannte die Experten-Kritik am Gesetz eine „Demontage der Sicherheitspolitik der Staatsregierung“. Das PAG sei Ausdruck einer demokratiegefährdenden Politik und verfassungswidrig. „Dieser Mangel ist nicht durch die Rücknahme oder kosmetische Korrektur einzelner Regelungen heilbar.“
FDP-Fraktionschef Martin Hagen urteilte: „Der Bericht ist ein schlechtes Zeugnis für die CSU, aber ein Hoffnungsschimmer für die Bürgerrechte in Bayern.“ Und selbst die Freien Wähler bescheinigten ihrem Koalitionspartner „Nachholbedarf“.